Mit Christen an die Macht?

Mit Christen an die Macht?
Auch Christen waren am Sturm auf das Kapitol am 6. Januar 2021 beteiligt. Foto: Gerald Hotz, wikimedia commons

Christliches gehört zur Kultur und Tradition in Deutschland. Das zeigt sich besonders in der Advents- und Weihnachtszeit. Lichter allüberall, die, auch wenn das die wenigsten damit verbinden, an das Licht der Welt, an das Kommen von Jesus Christus erinnern.

Auch wenn in vielen Bereichen Christliches auf dem Rückzug ist, setzen Rechtsextreme auf dieses christliche Erbe, um Einfluss zu gewinnen. Darüber berichtet das ARD-Magazin Monitor in der Sendung „Radikale Christen in Deutschland – Kreuzzug von rechts“. Der 30-minütige Beitrag wurde am 11. Dezember ausgestrahlt und kann auf der ARD-Mediathek abgerufen werden.

Der Beitrag warnt und verbreitet eine alarmistische Stimmung. Im Folgenden bringen wir Inhalte aus dem Monitor-Beitrag, ergänzt durch eigene und zusätzliche Informationen.

Monitor berichtet, dass die AfD engere Verbindungen zu christlichen Influencern, Aktivisten und Akteuren suche. Ziel sei es, den politischen Einfluss zu vergrößern und die Macht zu erringen, wie es Donald Trump mit Unterstützung der Christen in den USA gelungen sei. So heißt es zu Anfang der Sendung: „Diese Recherche führt vom Weißen Haus bis in den Bundestag.“

USA macht von Storch Hoffnung

Prominenteste christliche AfD-Politikerin ist die stellvertretende Fraktionsvorsitzende der AfD im Deutschen Bundestag, Beatrix von Storch. Sie setzt auf eine politische Wende wie in den USA und wird mit folgendem Statement gezeigt: „Das, was mich im Moment hoffnungsvoll macht, ist die Bewegung, die wir jetzt sehen, die aus den Vereinigten Staaten hoffentlich zu uns schwappt.“

Auf Abgeordnetenwatch erklärt von Storch zu ihrem Glauben: „Ich bin gläubiger Christ und überzeugt, dass Jesus der Sohn Gottes ist. Gerade in der Politik ist es wichtig eine höhere Macht anzuerkennen, die größer ist als der Mensch selbst. Der Mensch darf nicht alles tun, was er tun kann.“

AfD will Kirchenchristen erreichen

In dem Fernsehbericht wird auf ein AfD-Strategiepapier hingewiesen, in dem denkbar knapp „konfessionsgebundene Christen“ als eine Wählergruppe beschrieben werden, bei der „die AfD ihr Potential nicht ausgeschöpft hat“. Das ist ein einziger Satz in dem sechsseitigen Papier. Ansonsten geht es um verschiedenste Maßnahmen, wie die Partei Wähler gewinnen, parteitaktisch agieren und erfolgreich kommunizieren sollte.

Monitor weist auf den christlichen Influencer Leonard Jäger hin und zeigt Bilder von seiner Taufe. Er steht neben der christlichen Influencerin Jasmin Neubauer, die ihn mit einem Mann ins Meer eintaucht und wieder hochzieht. Der Monitor-Sprecher dazu: „Costa Rica im April 2024. Er lässt sich taufen. Der Start für die Karriere als christlicher Meinungsmacher.“

„Ketzer der Neuzeit“: Christ und AfD-Anhänger

Hundertausende junge Menschen folgen Leonard Jäger. Er wird von Monitor als „wichtiges Sprachrohr“ der AfD bezeichnet. Auf besonders große Resonanz stieß sein Interview mit Alice Weidel, in der er sie auf ihren Glauben anspricht. Weidel erklärt, dass sie nicht glaube, aber es gerne täte. Ihre Partnerin sei gläubig und deshalb würden sie ihre Kinder christlich erziehen.

Jäger ist ein Anhänger der AfD, aber er zeigt auch eine kritische Distanz zur Partei und ist nicht einfach nur „Sprachrohr“. Zum Beispiel, was er erwartet, wenn die AfD einmal Regierungsverantwortung habe. Es könne sein, dass sie – wie alle Parteien – nichts täten oder sich vielleicht zum Faschismus radikalisierten. Den Menschenkult um Donald Trump findet er „crazy“, wie er weiter im Gespräch mit Nizar & Shayan im Podcast „Die Deutschen“ erklärt.

US-Regierung: In Europa gibt es keine Meinungsfreiheit

Dass es eine handfeste Unterstützung von Rechtsradikalen in Deutschland durch die US-Regierung gibt, findet in dem Monitor-Beitrag breiten Raum. Das entspricht auch einem neuen Strategiepapier, das die Innenpolitik im Blick auf Europa zur Außenpolitik macht. Es wurde am 11. Dezember bekannt, dem Tag der Ausstrahlung der Sendung.

Darin wird die „Unterdrückung der Opposition“ in Europa festgestellt. Drei der 29 Seiten befassen sich mit Europa, das denkbar düster beschrieben wird: Wirtschaftlicher Abstieg – Masseneinwanderung, die zur „Auslöschung“ des Kontinents führe – keine freie Meinungsäußerung – niedrige Geburtenraten – Verlust der nationalen Identität und fehlendes Selbstbewusstsein.

Landes- und Kommunalpolitiker wird im Weißen Haus empfangen

Wie sehr sich das Weiße Haus um diese Opposition bemüht, zeigt auch eine andere Tatsache, die in dem Monitor-Beitrag nicht erwähnt wird: Der Empfang des rheinland-pfälzischen Landes- und Kommunalpolitikers Johannes Paul im Weißen Haus im September. Der Hintergrund: Paul scheiterte mit seiner Bewerbung als Kandidat für die Oberbürgermeisterwahl in Ludwigshafen. Er wurde unter Hinweis auf Zweifel an seiner Verfassungstreue als Kandidat nicht zugelassen.

Bereits im Februar schlug US-Vizepräsident J.D. Vance auf der Sicherheitskonferenz in München kritische Töne an und beklagte die mangelnde Meinungsfreiheit in Europa. Er kritisierte, dass AfD und BSW nicht zur Konferenz zugelassen wurden, traf sich demonstrativ mit Alice Weidel als AfD-Parteivorsitzender und forderte die deutschen Parteien auf, mit der AfD zusammenzuarbeiten.

„Märsche für das Leben“: Kreuzzug von Demokratiefeinden und radikalen Christen

Ausführlich thematisiert Monitor in seiner Sendung „Märsche für das Leben“. Der Sprecher fragt: „Was hat es auf sich mit den „Märschen für das Leben? Es ist eine Demonstration gegen Schwangerschaftsabbrüche. – Doch geht es allen hier wirklich nur um den Schutz des ungeborenen Lebens?“ Bei den Märschen seien Abtreibungsgegner und extreme Rechte Seite an Seite zu sehen. Auch wenn der stellvertretende Vorsitzende des Bundesverbands Lebensrecht, Prof. Paul Cullen, zitiert wird, der die Präsenz der Extremrechten nicht begrüßt, aber keinen Weg sieht, sie zu verhindern.

Der Monitor-Sprecher fragt: „Führen Demokratiefeinde und radikale Christen einen gemeinsamen Kreuzzug von rechts?“ Und als Antwort auf die Frage kommt ein Vertreter des „Vereins für Tradition, Familie und Privateigentum“ (TFP) zu Wort, der in die Kamera spricht: „Das ist eigentlich genau das, wofür wir kämpfen. Dass Europa nicht zerfällt, dass Europa nicht seine christlichen Werte vergisst.“ Und dann setzt der Sprecher wieder ein: „Europa vor dem Zerfall retten. Es geht also um mehr als den Schutz des ungeborenen Lebens.“

„Alarmismus“ – Deutschland und USA kaum zu vergleichen

Der evangelische Theologe Manfred Schmidt (Fürth, Bayern) kann den Alarmismus der Monitor-Sendung nicht nachvollziehen. Natürlich gebe es Rechtsextreme in Deutschland, die das Christentum für ihre Ziele instrumentalisierten. Doch im Unterschied zu Deutschland sei die christliche Wählergruppe in den USA von immenser Bedeutung, während sie hierzulande nur eine „kleine Minderheit“ darstelle.

Schmidt weist darauf hin, dass Deutschland „durchsäkularisiert“ sei. Zudem: „Die allermeisten Kirchenchristen sind in Deutschland im politischen Mainstream unterwegs, haben also keinerlei Interesse an irgendeiner grundlegenden gesellschaftlichen Umgestaltung. Von daher sehe ich das nicht, dass sich eine große Welle von christlichen Rechten das Christentum aneignet, Macht erringt und unser politisches System grundlegend verändert.“
Schmidt erläutert weiter, dass es ein entscheidender Punkt im Denken rechter christlicher Kreise in den USA sei, dass sie eine Kirche der Endzeit propagierten, die „von Aposteln und Propheten geleitet wird, die direkt von Gott eingesetzt sind, sich von Gott leiten lassen und so die Wiederkunft von Jesus vorbereiten.“

„Glaubensbüro“ im Weißen Haus

Dazu gehört auch die Predigerin Paula White, Weggefährtin und enge Beraterin des US-Präsidenten Donald Trump. Am 7. Februar 2025 wurde ihr die Leitung des von Präsident Trump neu geschaffenen White House Faith Office übertragen. Sie ist damit die entscheidende Verbindungsstelle zwischen Präsident Trump und allen Anfragen aus christlichen Kreisen der USA. Wer von christlicher Seite etwas von Donald Trump will, kommt an ihr nicht vorbei.

Christen in der Gesellschaft: Nicht herrschen, sondern dienen

Eine Motivation zum Kampf um die Macht sei, dass sich Christen in den USA zum Regieren und Herrschen gerufen sehen, so Schmidt. Auf diese Weise wollten sie den Willen Gottes in der Gesellschaft umzusetzen. Doch die Evangelien vermittelten ein denkbar anderes Bild. Christen seien nicht zum Herrschen, sondern Dienen berufen. „Jesus sagt vor Pilatus, ‚Mein Königreich ist nicht von dieser Welt.‘ Und er hat sich kampflos gefangen nehmen lassen, statt Macht einzusetzen. Als dabei seine Jünger mit dem Schwert dreinschlagen, verbietet er es ihnen und heilt den Verwundeten. Denn er ist nach seinen eigenen Worten ‚gekommen, um zu dienen, nicht zu herrschen‘“, so Manfred Schmidt.