Achtsam auf sechs Rädern

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Die Vereinigten Staaten haben einmal mehr einen Beweis ihrer technischen Überlegenheit geliefert: Sie informierten die Weltöffentlichkeit vor wenigen Tagen von einer erstaunlichen Leistung: Ein Fahrzeug ganz besonderer Bauart legte seine bislang längste Strecke zurück. Das erstaunliche neuartige Wagenmodell hat nicht nur vier, sondern sechs Räder. Wahrscheinlich sind zwei davon eingebaute Ersatzreifen. Das spart viel Platz im Kofferraum und so bleibt mehr Raum für große Einkäufe oder Reisen.

Auch trainierte Schnecken haben keine Chance
6500 Kilometer. Nein. Pardon! Aber doch immerhin 6,5 Meter (in Worten: sechs-Komma-fünf-Meter) legte das Sechsrad zurück. Das bejubelte Gefährt bewältigte die Distanz in nicht mehr als 33 Minuten. Da kommt selbst eine Wettkampf-Weinbergschnecke nicht mehr mit. Die arme schafft in einer ganzen Stunde, also fast der doppelten Zeit, gerade mal 4,20 Meter und wäre im direkten Wettkampf hoffnungslos unterlegen.

Unfairer Vergleich
Das ist ja auch nicht weiter verwunderlich, muss doch die bedauernswerte Schnecke auch noch ihre eigene Wohnung mitschleppen. Daher ist der Vergleich wirklich nicht fair. Chancengleichheit wäre ja nur dann gegeben, wenn der amerikanische Wagen seine Garage auf seiner Sechseinhalb-Meter-Distanz auch noch huckepack genommen hätte. Das war den offiziellen Berichten zufolge aber nicht der Fall.

Dagegen ist die Schildkröte ein Raser
Das beklatschte Tempo des amerikanischen Geländewagens sieht allerdings im direkten Vergleich mit einer Landschildkröte schon dramatisch schlechter aus, und das, obwohl ja auch sie ihre Behausung bei sich trägt. Die Schildkröte würde an unserem Sechsrad im Sauseschritt vorbeidüsen, weil sie in 33 Minuten auf unglaubliche 550 Meter (!) kommt. Da hat dann der Wagen mit mit dem Namen „Perseverance“ (zu deutsch: „Durchhaltevermögen“) das Nachsehen. Was aber lässt dann die amerikanischen Freunde so jubeln?

Leuchtendes Beispiel für Entschleunigung
Bei näherem Betrachten ist womöglich gar nicht die Geschwindigkeit die besondere Leistung des US-Wagens, sondern genau das Gegenteil. Das Besondere ist, also seine außergewöhnliche Langsamkeit. – Zugegeben, in einer immer schnelleren digitalen Welt ein recht ungewöhnliches Attribut.
Womöglich soll „Perseverance“ ein weltweites Signal zur Langsamkeit setzen. In einer Zeit der Entschleunigung ist es ein leuchtendes Beispiel, und seine Fahrleistung ein bewusst gesetzter Kontrapunkt in einer gehetzten, völlig überdrehten Gesellschaft. Im modernen Wahn von Beschleunigung und immer höherem Tempo ist es ein Zeichen, das zum Innehalten, man könnte auch sagen zum Anhalten mahnen soll. Denn um wirkliche Fortbewegung handelt es sich ja eigentlich nicht mehr.

Achtsames Innehalten
Wenn die Corona-Pandemie, wie viele meinen, eine Zeit der Entschleunigung einleitete, dann ist unser amerikanischer Wagen das absolut angesagte Fahrzeug. Wer sechseinhalb Meter in gut einer halben Stunde bewältigt, der ist wirklich langsam, echt achtsam und gänzlich entschleunigt. Sechseinhalb Meter in 33 Minuten, da kann auch von Fahren nicht mehr die Rede sein: es ist mehr ein Anhalten mit Unterbrechungen. In dieser Logik sollte nicht von Fahr- sondern Haltezeug gesprochen werden.

Und diese Art ganz und gar entschleunigter Fortbewegung, die mehr Stehen als Bewegen ist, hat noch einen weiteren entscheidenden Vorteil: Wer sich mit so langsam Wagen fährt entschuldigung anhält, für den bieten während eines Lockdowns selbst kleinste Flächen ein überzeugendes Raumangebot zum Fahren, pardon, zum Anhalten.

Am 4. März jubelte die amerikanische Weltraumbehörde Nasa über die erste, 6,5 Meter lange Fahrt des Fahrzeugs „Perseverance“.
In den nächsten zwei Jahren soll das 2,5 Milliarden teure Gefährt, es ist etwa so groß wie ein SUV, in seinem Umkreis nach Spuren von mikrobiellen Leben suchen.

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