Krieg in Israel: Wo klare Worte sterben

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Bilder und Namen der am 7. Oktober 2023 von der Hamas aus Israel entführten Geiseln - Kirya Wall, Tel Aviv. Foto: Lizzy Shaanan (Ausschnitt) / Wikimedia Commons

Kommentarbild Zwei Köpfe - Nachrichten aus Zeitgeschehen, Religion und Recht, Eva HeuserSeit drei Wochen ist Krieg in Israel. Wenn Terror nicht mehr benannt und die kritischen Blicke allein gen Israel gehen, haben Welt und Medien vergessen, wie er begonnen hat. Das allein ist schon Antisemitismus-verdächtig. Ein Kommentar von Eva Heuser. 

Was ist moderner Antisemitismus (jenseits der bekannten Nazi-Stereotypien)? Eine ganz einfache Definition ist die: Antisemitisch denkt auch der, der an die israelische Politik strengere Maßstäbe anlegt als an die anderer Länder. Mit dieser Definition im Hinterkopf (die nur eine in einer Liste der International Holocaust Remembrance Alliance (IHRA) ist) die Nachrichten und Wortmeldungen zum Krieg in Israel zu lesen und zu hören ist aufschlussreich.

Warum? Weil offensichtlich wird, welche hohen Erwartungen die internationale Politik an Israel stellt. Weil es offenbart, wo Medien tendenziös berichten oder einfach nur falsch.

Tatsächlich kann man mit dieser Definition der IHRA auch der jüngsten Resolution der UN-Vollversammlung Antisemitismus unterstellen. Der Text, der das gute und wichtige Ziel hat, die unsäglich leidende Zivilbevölkerung von Gaza mithilfe einer ständigen Waffenruhe zu versorgen und zu schützen, schweigt zu Israels Recht auf Selbstverteidigung. Er nennt den Hamas-Terror nicht einmal beim Namen, die Geiseln werden zu „Zivilisten“ verharmlost. Unabhängig davon, wie man politische Entscheidungen der israelischen Regierung bewerten mag (und Premierminister Benjamin Netanjahu), ist es eine Schande, dass dieser Text nicht auf mehr Widerstand in der UN-Vollversammlung gestoßen ist: 120 Mitgliedsstaaten votierten dafür, 14 dagegen, 45 enthielten sich – auch Deutschland. Die deutsche Enthaltung ist dabei ein Armutszeugnis. Denn jedes Wort der Resolution ist bewusst gewählt – und das, was fehlt, ist keine Kleinigkeit.

Israel ist kein Aggressor. Israel hat tatsächlich noch nie einen Krieg begonnen. Israel führt Krieg, wenn es angegriffen wird. Die ursächliche Gewalt geht nicht auf das Konto des jüdischen Staates. Wer das Recht Israels auf Selbstverteidigung im Kontext des aktuellen Krieges unerwähnt lässt, bringt Israel bewusst oder unbewusst in die Rolle des Angreifers – oder lehnt den Staat Israel als solches ab, wie es vor allem Syrien, Iran und alle islamistischen Gruppen tun (Antizionismus ist aber in den meisten muslimischen Ländern und auch in der „Dritten Welt“ weit verbreitet).

Weil die Resolution die Hamas nicht namentlich nennt und nur allgemein „Terror“ verurteilt, lässt sie fahrlässig viel Interpretationsspielraum. Israel übt keinen Terror aus. Es ist die palästinensische Hamas (und die libanesische Hizbullah). Deren für den Krieg ursächlicher Terror aber bleibt seit Beginn des Krieges immer wieder unerwähnt – von zuvor eher israelfreundlichen Staaten wie Saudi-Arabien und Jordanien über die türkische Regierung bis (natürlich) hin zum größten Gegner Iran. Wer nur will, kann beides tun: klare Worte zum Schutz der Zivilbevölkerung in Gaza finden und klare Worte zum Hamas-Terror.

Das von einer beispiellosen Terrorattacke mit 1400 Toten und mehr als 200 Geiseln erschütterte Israel aber wird auch von freundlich gesinnten Staaten hoch moralisch in die Pflicht genommen. Dem versucht das Land nachzukommen, indem es die palästinensische Zivilbevölkerung mit Flugblättern und per Mobilfunk zur Flucht auffordert. Dass man auf israelischer Seite genau abwägt, was an Hilfslieferungen in den Gazastreifen darf, ist unbestritten bitter für die palästinensische Zivilbevölkerung – aber erstens nachvollziehbar und zweitens wiederum der Hamas zu verdanken, die auch Hilfslieferungen für sich vereinnahmt, wenn es nur den eigenen Zwecken dient.

Schließlich: Wenn in deutschen Zeitungen zusammenfassend von „Gewalt auf beiden Seiten“ (gemeint sind die Hamas und Israel) zu lesen ist, dann erwecken um Objektivität bemühte Journalisten einen vollkommen falschen Eindruck. Die Gewalt ist in keiner Form symmetrisch oder gleichgeartet.

Die Hamas attackiert, foltert, schändet, ermordet, entführt gezielt Zivilisten – Frauen, Männer, Alte, Kinder, Säuglinge. Die Hamas tötet die eigene Zivilbevölkerung, indem sie sich feige hinter ihr versteckt und sie für ihre Terrorzwecke missbraucht. Sie will, dass palästinensische Männer, Frauen und Kinder durch israelische Gegenschläge zu Tode kommen. Deshalb verschanzt sie sich unter Krankenhäusern, Schulen und Moscheen. Sie will schreckliche Bilder produzieren (und sie setzt gefälschte Bilder in den sozialen Medien ein.) Sie will die Eskalation. Sie will den globalen Dschihad. Sie will Israel auslöschen. Sie ist nicht durch eine Wahl legitimiert und sie steht auch „nicht für die Errichtung des palästinensischen Staates ein“, wie die frühere israelische Außenministerin Tzipi Livni gerade im Interview mit dem Deutschlandfunk sagte.

Auf der anderen Seite steht das israelische Militär als Instrument eines demokratischen Staates, das seinen Werten verpflichtet ist. Es ist der Hamas klar überlegen. Das israelische Militär tötet gezielt Hamas-Terroristen und zerstört deren Infrastruktur – und ja, es nimmt den Tod von Zivilisten dabei in Kauf. Es zielt aber nicht auf sie.

Auch „westliche“ Medien berichten absichtlich oder unabsichtlich Falsches: durch Verkürzung, Einseitigkeiten, Geschichtsklitterung (hervorragend zusammengestellt hat das zuletzt der Theologie-Dozent und Israelkenner Guido Baltes). Oder durch journalistisch unsauberes Arbeiten: Selbst große US-amerikanische und britische Medien wie die New York Times, CNN oder die BBC verließen sich auf die Hamas (!) als Quelle einer lancierten Falschmeldung, in der Israel für eine fehlgeleitete Rakete einer palästinensischen Terrorgruppe auf das Al-Ahli-Krankenhaus in Gaza verantwortlich gemacht wurde und die tatsächlichen Opferzahlen vervielfacht wurden. (In der Folge rief die Hizbullah Muslime weltweit zur Attacke auf Juden und auf Israel auf, auch in Deutschland gab es Ausschreitungen und einen versuchten Brandanschlag auf eine Berliner Synagoge.)

All das kann man schnell aus dem Blick verlieren, wenn man die entsetzlichen Bilder aus dem Gazastreifen sieht. Denn das Leid der palästinensischen Familien ist kaum zu ertragen. Aber wer sich dadurch von einem klaren, informierten Urteil abhalten lässt, sitzt der Hamas auf. Wer immer Tatsachen in diesem Krieg verfälscht, wer auch nur die lange Geschichte dieses Konflikts verkürzt darstellt und vereinfacht, wer vorschnell und reflexhaft in Kategorien einteilt, wer auffallend schweigt, wie es auch viele „westliche“ Kulturschaffende tun, macht sich mitschuldig an einer aktuellen Spielart des jahrtausendealten Antisemitismus.

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