Weltverschwörung oder Weltenende? Was Corona mit Menschen macht

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Die vier Reiter der Apokalypse bringen Tod, Hunger, Krieg und Krankheit – je nach Lesart auch Unterdrückung (nach der Offenbarung des Johannes, Kapitel 6). Gemälde von Wiktor Michailowitsch Wasnezow aus dem Jahr 1887.

Neuartige Krisen oder besondere Jahreswechsel befördern seit Jahrhunderten die angstvollen Phantasien der Menschheit: Das Ende der Welt scheint nahe, die Apokalypse greifbar. Auch das neue Virus Sars-CoV-2 macht da keine Ausnahme.

Die Corona-Krise legt in Deutschland und der Welt das öffentliche Leben lahm – in einer so neuen Dimension, dass Spitzenpolitiker weltweit auf martialische Bilder zurückgreifen: Der französische Staatspräsident Emmanuel Macron führt einen „Krieg“ gegen das Virus, der italienische Ministerpräsident Giuseppe Conte will sein Land aus seiner „dunkelsten Stunde“ führen. Es verwundert nicht, dass die Krise vor allem im Internet eine neue Welle an Verschwörungstheorien und apokalyptischen Szenarien heraufbeschwört. Auch unter manchen Christen ist das so – doch wie sie inhaltlich auf die Krise reagieren, könnte unterschiedlicher kaum sein.

Die „erfundene Krise“ – um Bürgerrechte auszuhebeln? 

Corona: Noch nie verbreitete sich eine Krankheit so schnell auf der ganzen Welt.
Sars-CoV-2: Ein neues Virus geht um die ganze Welt.

Das Netz ist voll: „Der Virus wurde in einem Labor hergestellt und verbreitet.“ Diese gängige Theorie wird wahlweise von links gestreut – „die Pharmaindustrie will mit einem Impfstoff reich werden“. Oder von rechts: Das alles sei „eine geplante, inszenierte Aktion … äußerst wahrscheinlich“ (Oliver Janich). Danach werde das Virus gefährlich geredet, mit einem perfiden Ziel. Es macht die Einschränkung von Freiheitsrechten wie der Versammlungs-, der Berufsfreiheit oder der freien Wahl des Aufenthaltsortes möglich und zwingt vielerorts Bürger zur – nachverfolgbaren – Zahlung per Karte.

Und nach Meinung von Heiko Schrang und anderen ist das ein weiterer Schritt in eine „neue Weltordnung“ unter der Herrschaft globaler Eliten. Dass Youtube, Facebook und Co. auf einmal schnell auf solche Inhalte reagieren und sie entweder sperren oder mit Hinweisen auf seriöse Corona-Informationen bestücken, dient als weiterer Beleg für das vermeintlich fortschreitende Ende der Meinungsfreiheit.

Faktenchecker halten im Netz dagegen

Diese und ähnliche Theorien haben derart Zulauf, dass sich das US-amerikanische Wissenschaftsmagazin „LiveScience.com“ bemüßigt sieht zu betonen: „Kein Hinweis legt nahe, dass das Virus von Menschen gemacht ist.“ Um im Folgenden genau zu erklären, warum. Ein junges Redaktionsteam des NDR hat recherchiert, wie sich manche Nachricht erst zur Falschmeldung und dann zum „Beweis“ einer nationalen oder gar globalen Konspiration wandelt. Mal fanden sie veraltetes Material aus Italien, das für „aktuell“ erklärt wurde – in einer sich permanent verschärfenden Lage wurde aus dem Satz eines Arztes, „es gibt keine Toten in Italien!“ (vom 26. Februar), vier bis fünf Wochen später eine Falschinformation.

Ein anderes Mal wurde eine offizielle Risikoanalyse der Bundesregierung (Szenario: Pandemie durch Virus aus Asien) von 2012 über mehrere Stufen der Weitergabe konspirativ aufgeladen, von Rechtsaußen uminterpretiert und am Ende zu einem „Geheimplan der Regierung“ (Schrang). Dieser Text landete auch auf den seriösen Seiten „wallstreet-online.de“ und „finanznachrichten.de“, für die Schrang als Gastautor schreibt. Auch AfD-Politiker springen auf solche Züge auf. Echte kritische Berichterstattung und berechtigte Zweifel von Fachleuten sind für Leser oft nur schwer von Fake News und Verschwörungstheorien zu unterscheiden.

"Die mit der Sonne bekleidete Frau und der siebenköpfige Drache" (um 1497) von Albrecht Dürer ist einer von 15 Holzschnitten aus seiner "Apokalypse". Die Darstellung bezieht sich auf die Offenbarung des Johannes, Kapitel 12. Die Frau wird als die Gottesmutter Maria gedeutet.
„Die mit der Sonne bekleidete Frau und der siebenköpfige Drache“ (um 1497) von Albrecht Dürer ist einer von 15 Holzschnitten aus seiner „Apokalypse“. Die Darstellung bezieht sich auf die Offenbarung des Johannes, Kapitel 12.

Es schlägt wieder die Stunde der Apokalyptiker

Auch Christen sind in diesen Tagen mit einem weiten Spektrum konfrontiert, wie das außergewöhnliche Geschehen rund um das Corona-Virus zu verstehen sei. Das Internet ist voll von Predigten, die das Ende der Welt und die Wiederkunft Christi unmittelbar erwarten, vor allem aus dem außereuropäischen Raum. Doch das Phänomen der apokalyptischen Naherwartung ist so alt wie das Christentum selbst. Bereits der Apostel Paulus mahnt die Gläubigen in Thessalonich in der Mitte des 1. Jahrhunderts n. Chr. zur Besonnenheit, denn der „Tag des Herrn“ sei noch nicht da.

Immer wieder treten solche Naherwartungen auf, zu bestimmten Zeiten. „Das sind aber Sondererscheinungen im Christentum“, sagt Dr. Martin Fritz, theologischer Leiter der Evangelischen Zentralstelle für Weltanschauungsfragen (EZW) in Berlin. Eine Naherwartung der Apokalypse war auch um das Jahr 1000 n.Chr. und zur Zeit der Reformation zu beobachten, Martin Luther war in Wittenberg dreimal mit der Pest konfrontiert – 1516, 1527 und 1535. Vor allem ab dem 6. und im 14. Jahrhundert hatte der „Schwarze Tod“ bereits Millionen Menschen dahingerafft, Studien zufolge im 14. Jahrhundert bis zu 50% der Bevölkerung. Die Wiederkunft Christi „ist dann aber nicht eingetreten und man hat sich wieder von der Naherwartung verabschiedet“, so Fritz.

In der Krise suchen Menschen nach Deutungen

Es sind vor allem schwere Krisen und Jahrtausendwenden, die einerseits die apokalyptische Naherwartung unter Christen wecken können, aber auch andererseits Verschwörungsfantasien bei Menschen befeuern. „Es ist die Faszination für Zahlen, für Schwellen. Das sind Anlässe, um latente religiös-weltanschauliche Fantasien in Bewegung zu bringen. Ein Funke dieser Magie der Zahlen schlägt ja auch bei einem selber an. Und Krisen, Ausnahmeerfahrungen führen zu großer Verunsicherung, die nach Deutungen ruft“, erklärt Fritz. Eine Deutung bieten Verschwörungstheorien an: Es gibt einen großen Plan, hinter der Krise steckt eine Absicht. Das Komplexe dieser Welt wird – und das ist ein generelles menschliches Bedürfnis – reduziert.

Verschwörungstheorien sind aber deshalb falsch, weil sie von unmöglichen Voraussetzungen ausgehen, sagt der Tübinger Kulturhistoriker Michael Butter. Echte Verschwörungen spielten sich in einem überschaubaren Zeitrahmen ab und würden von einer kleineren Gruppe an Personen begangen. Verschiedene Gruppen zögen eben nicht an einem Strang, sondern verfolgten unterschiedliche, oft entgegengesetzte Ziele. Außerdem sei die Annahme falsch, „dass Menschen den Verlauf der Geschichte ihren Intentionen entsprechend lenken können, dass Geschichte also planbar ist“, schreibt Butter, der ein europäisches Forschungsprojekt zu Verschwörungstheorien leitet.

Die Offenbarung des Johannes spricht vom Ende der Welt 

Im Neuen Testament wird die Apokalypse in der Offenbarung des Johannes beschrieben, einem in seiner Auslegung umstrittenen biblischen Buch. Dort gibt es einen großen Akteur, der mit dem Titel „Antichrist“ als der ultimative Feind Gottes ausgewiesen ist. Zeichen gehen der Wiederkunft von Jesus Christus voraus. Es sind Zeichen, die manche Christen im Geschehen des vergangenen Jahrhunderts zugespitzt wiederfinden – in Kriegen und Naturkatastrophen, in Christenverfolgungen, im Holocaust und in der Geschichte des Staates Israel. Einige wenige wollen diese Zeichen – und hier wird eine Nähe zu Verschwörungstheorien greifbar – auch im Handeln wahlweise der Vereinten Nationen, der Europäischen Union, sogar der Katholischen Kirche erkennen, die dann als der antigöttliche Agitator aus der Offenbarung begriffen werden.

Wenn sich Apokalyptisches mit Rechtspopulismus mischt

Und dann Corona. Vereinzelt wird die im Netz prominente Deutung der Krise von Rechtsaußen sogar wie ein Zerrbild über die bildgewaltige Offenbarung gelegt: Dann gehen apokalyptische Erwartung und Verschwörungstheorie eine unheilvolle Verbindung ein. Für Jakob Tscharntke, Pastor der Evangelischen Freikirche Riedlingen (Baden-Württemberg), „deutet vieles darauf hin, dass die globalen antichristlichen Eliten das Corona-Virus, das sie möglicherweise selbst zu diesem Zweck freigesetzt haben, nutzen, um die nächsten Schritte zu einer totalitären, antichristlichen Weltherrschaft einzuleiten. Sollte dies so sein, könnte der Tag der Entrückung sehr nah vor der Tür stehen“ – so Tscharntke am Sonntag, 22. März, in einem Predigt-Livestream auf Youtube. Der Bund Evangelisch-Freikirchlicher Gemeinden (BEFG), allgemein als „Baptisten“ bekannt, zu dem Tscharntkes Gemeinde gehört, hatte sich bereits 2015 von Tscharntke und dessen Äußerungen zur „Flüchtlingskrise“ sehr deutlich distanziert.

Dr. Martin Fritz ist theologischer Leiter der Evangelischen Zentralstelle für Weltanschauungsfragen (EZW) in Berlin. Er untersucht Strömungen des Zeitgeistes sowie evangelikales und pfingstlich-charismatisches Christentum. Foto: EZW Berlin
PD Dr. Martin Fritz ist theologischer Leiter der Evangelischen Zentralstelle für Weltanschauungsfragen (EZW) in Berlin. Foto: EZW Berlin

„Fromme Nüchternheit“ immunisiert gegen Verschwörungstheorien

Was bewahrt nun Christen vor Verschwörungstheorien? Die breite Masse des „aufgeklärt-europäischen Christentums geht grundsätzlich von der naturwissenschaftlichen Erklärbarkeit der natürlichen Phänomene aus und rechnet nicht täglich mit Wundern“, sagt Dr. Martin Fritz. „Ein Christentum, das versucht sich mit moderner Vernunft in ein Benehmen zu setzen, ist dafür nicht anfällig.“ Außerdem ist hier „die Ewigkeitshoffnung weitgehend von apokalyptischen Vorstellungen abgekoppelt“.

Und auch bei Christen, deren Weltbild sich nicht in menschlicher Logik und rein naturwissenschaftlicher Betrachtung erschöpft, gibt es eine „fromme Nüchternheit“, die sie „völlig immun dagegen“ macht, beobachtet Fritz, der sich bei der EZW mit Evangelikalismus und pfingstlich-charismatisch geprägtem Christentum befasst. Sie hätten eine gewisse kritische Grundhaltung, auch gespeist aus der europäischen Geistesgeschichte und der historischen Erfahrung. Es gebe auch eine christliche Haltung, die „wirklich Jesus-zentriert ist“. Wichtig sei dann die Verbundenheit mit Jesus – und wann er wiederkommt, spiele keine sehr große Rolle mehr.

Christen machen Mut und mahnen zu Besonnenheit

Viele Christen – und sie sind deutlich in der Überzahl – machen Mut in der Corona-Krise. So wie die Macher des E-Magazins „Joel News“, die von den ersten Christen, die mit zwei schweren Seuchen zu kämpfen hatten, für heute lernen wollen: „Wir Christen wollen ein Segen sein! … Ruhe bewahren, sich um Mitmenschen kümmern und die Königsherrschaft Gottes ausbreiten.“

Dr. Ralf Schowalter ist Professor am Bibelseminar Bonn, einer theologischen Ausbildungsstätte in baptistisch-mennonitischer Tradition. Schowalter las am 16. März auf Youtube aus den derzeit viel zitierten Endzeitworten von Jesus im Matthäus-Evangelium (Kap. 24). Er erkannte darin zunächst einmal Jesus’ Warnung, in „keine wilden Endzeitspekulationen“ zu verfallen: „Seht zu, dass euch nicht jemand verführe.“ Und zweitens die Mahnung, dass „die Liebe in vielen erkalten“ werde. „Wir stehen in der Gefahr, … dass wir nicht mehr für, sondern gegen Menschen sind.“

Statt Gerüchte noch aufzubauschen, sollten Christen das Evangelium überall auf der Welt verkünden – denn das sei der Auftrag und die Bedingung für das Kommen von Jesus. Schowalter rät: „In Krisenzeiten sollten Christen die ruhigsten Menschen auf der Erde sein, weil sie den Frieden des Herrn in ihrem Herzen haben. Wir sollten beten. Bibel lesen. Uns besinnen, wie wir der Mahnung Jesu, dass ,die Liebe in vielen erkalten wird’, begegnen können. … Gute Werke tun. Kreativ sein.“