Transparenz in der katholischen Kirche: Bitte jetzt keinen Applaus!

Die Meldung hat hohe Wellen geschlagen: Vor wenigen Tagen hat Papst Franziskus verfügt, dass kirchliche Strafverfahren bei Missbrauchsfällen nicht mehr der Geheimhaltung unterliegen. Das sogenannte „päpstliche Geheimnis“ ist damit für diese Fälle abgeschafft: Für Polizei und Staatsanwaltschaft wird es deutlich einfacher, auf Kirchenakten zuzugreifen. Ein Kommentar von Eva Heuser.

Papst Franziskus hat wichtige Schlupflöcher für Sexualstraftäter wie Vertuscher im kirchlichen Getriebe geschlossen. Doch wirft die jüngste Entscheidung des Papstes, das „päpstliche Geheimnis“ für Fälle sexuellen Missbrauchs abzuschaffen, auch wieder einmal ein Schlaglicht auf die dunklen Seiten der Kirche: auf das, was bisher möglich war. Auf die Selbstherrlichkeit, den Narzissmus, die Feigheit und menschliche Schwäche im Klerus, die ein System ermöglicht hat, dessen Erhalt für einige seiner Mitglieder höchste Priorität hatte und die dafür in Kauf genommen haben, die schwächsten Glieder der Kirche im Stich zu lassen.

Verschärft wird das kirchliche Strafrecht jetzt dort, wo es um kinderpornografische Darstellungen geht, um deren Besitz und Verbreitung. Die Altersgrenze für Opfer wird bis zur Volljährigkeit erhöht, zuvor lag sie bei 14 Jahren. Deutlich verschärft hat Papst Franziskus das Kirchenrecht auch schon in seinem Juni-Dekret „Ihr seid das Licht der Welt“, weil zum ersten Mal neben sexuellem Missbrauch auch das Vertuschen dieser Taten strafbar wurde. Verschärft wurde das Kirchenrecht gleichzeitig durch die Meldepflicht an kirchliche Vorgesetzte. All das ist gut, wichtig und richtig.

Dass es nach wie vor keine gesetzliche Pflicht gibt, Missbrauchsfälle an staatliche Behörden weiterzugeben, kann niemand der Kirche zum Vorwurf machen. Auch im „zivilen Leben“ gibt es keine allgemeine Anzeigepflicht für Missbrauchsfälle, weder für Sportvereine noch für Privatpersonen. Hier etwas zu ändern, wäre Sache des deutschen Gesetzgebers. Danach würde sich auch die Kirche richten. Ob das die Opfer aber besser schützt, ist fragwürdig.

Doch soll es wirklich gleich „epochal“ sein, dass das päpstliche Geheimnis jetzt bei Sexualstraftaten entfällt, wie es der maltesische Erzbischof Charles Scicluna im Gespräch mit Vatican News gesagt hat? Es ist vielmehr eine reine Selbstverständlichkeit – oder sollte es zumindest sein.

Dass Kleriker ab sofort Aussagen von mutmaßlichen Opfern und Tätern nicht mehr in Geheimarchiven verschwinden lassen können, indem sie sich auf das „päpstliche Geheimnis“ berufen, ist extrem wichtig – aber es sollte auch selbstverständlich sein. Und natürlich ist es extrem wichtig, dass Kleriker, die Hinweise zu Straftaten weitergeben, nicht mehr mit Sanktionen bedroht werden können. Doch auch das sollte selbstverständlich sein. Opfer können jetzt erfahren, wie ein Täter nach Kirchenrecht bestraft worden ist, weil die Prozessakten nicht mehr der kirchlichen Geheimhaltung unterliegen. Aber auch das ist doch nur selbstverständlich.

Aus heutiger Sicht war es falsch, dass das päpstliche Geheimnis, das in dieser Form übrigens erst 1974 installiert wurde und vertrauliche Dokumente und Personalvorgänge schützen sollte, überhaupt auf (Verdachts-)Fälle von sexuellem Missbrauch anwendbar war und Verstöße dagegen als „schwere Sünde“ gewertet wurden. Sicher, es waren andere Zeiten, es war ein anderer Umgang mit diesem Thema.

Dass man aber auch jenseits einer mit Strafen bewehrten päpstlichen Geheimhaltung Vorsicht und Vertraulichkeit in ein sensibles Verfahren bringen kann, zeigen die neuen Instruktionen des Papstes vom 17. Dezember „Über die Vertraulichkeit von Verfahren“. Dokumente werden zum Schutz der Beteiligten nicht öffentlich gemacht, können jetzt aber ohne Zustimmung des Papstes staatlichen Behörden zur Verfügung gestellt werden.

Ist der jüngste Schritt in Richtung Transparenz also „epochal“ oder „historisch“, wie es hier und dort zu lesen war? Von außen betrachtet ist er selbstverständlich, ein Gebot der Vernunft und unabdingbar. Doch angesichts des Umgangs mit Missbrauchsfällen in der katholischen Kirche und angesichts ihrer Strukturen ist er es leider schon. Was wiederum nur zeigt, wie weit sich die katholische Kirche von den Werten ihres Gründers entfernt hatte: Wahrheit, Demut, Barmherzigkeit. Applaus hat die Kirche für diesen lange überfälligen Schritt nicht verdient.

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