Deutschland hat eine neue Regierung. Die Ampel-Koalition aus SPD, Grünen und FDP hat mit ihrer Arbeit begonnen. Im Fokus stehen vor allem Maßnahmen gegen den Klimawandel und ein Umbau der Wirtschaft. Doch auch im Verhältnis von Kirche und Staat ist mit Veränderungen zu rechnen, nicht nur atmosphärisch, sondern auch substantiell.
Vordergründig zeigt sich das daran, dass Olaf Scholz der erste konfessionslose Kanzler der Bundesrepublik ist. In Hamburg evangelisch getauft, trat Scholz später aus der Kirche aus. Mit ihm verzichteten sieben der 16 Bundesminister auf den Zusatz „So wahr mir Gott helfe“ bei ihrer Vereidigung. Dazu gehörten die fünf Grünen-Minister sowie der neue Kanzleramtschef Wolfgang Schmidt und Entwicklungsministerin Svenja Schulze (beide SPD). Christian Lindner hingegen, FDP-Vorsitzender und neuer Finanzminister, wählte die Gottesformel bei seiner Vereidigung, obwohl er bereits als 18-Jähriger aus der katholischen Kirche ausgetreten war.
Evangelische Kabinettsmitglieder
Zu evangelischen Kirche gehört Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) – er war einige Jahre nebenamtlicher Kirchenmusiker und spielte Orgel. Er betonte bei seiner Vereidigung das Wort “Gott” besonders und ganz ausdrücklich. Evangelisch ist auch Bauministerin Klara Geywitz (SPD), die sich auf ihrem Twitter-Account „fröhliche Christin“ nennt; sie gehört zum „Arbeitskreis Christinnen und Christen in der SPD“. Außerdem sind von den Kabinettsmitgliedern der SPD Arbeitsminister Hubertus Heil – er ist Mitglied im Präsidium des Deutschen Evangelischen Kirchentages – und Verteidigungsministerin Christine Lambrecht evangelisch.
Annalena Baerbock: „Nicht ganz gläubig“
Auch Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) ist Mitglied der evangelischen Kirche; sie bezeichnete sich im Mai auf dem Ökumenischen Kirchentag als „nicht ganz gläubig“, doch sie gehe „öfter mal“ in den Gottesdienst und sei „gerne Mitglied der evangelischen Kirche“. Sie schätze die „Gemeinschaft der Kirche und ihr Engagement für gesellschaftliche und soziale Anliegen, das Miteinander von Jung und Alt“, wie sie gegenüber der Katholischen Nachrichtenagentur äußerte
Katholisch im Kabinett
Zur katholischen Kirche gehören die Kabinettsmitglieder Nancy Faeser (SPD, Bundesinnenministerin), Marco Buschmann (FDP, Bundesjustizminister) und Bettina Stark-Watzinger (FDP, Bundesbildungsministerin). Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) war aus Bestürzung über das Ausmaß des Missbrauchsskandals bereits vor ein paar Jahren aus der katholischen Kirche ausgetreten. Er stehe der Kirche aber immer noch „sehr nahe“, sagte er im April 2021 im „Talk mit K“-Podcast des Kölner Stadtanzeigers. Dort schloss er einen Wiedereintritt auch nicht aus.
Cem Özdemir stellt sich Jesus und Mohammed als Freunde vor
Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) ist geborener Muslim mit türkisch-tscherkessischen Wurzeln, bezeichnet sich aber als nicht gläubig. Seine Frau Pia Maria Castro ist Katholikin mit argentinischer Abstammung. Im Blick auf die verschiedenen religiösen Hintergründe stellten sie sich vor, so Özdemir 2018 gegenüber dem Evangelischen Rundfunkdienst Baden, dass „Jesus und Mohammed Freunde sind und gemeinsam schauen, was die Menschen auf der Erde machen … Vermutlich ärgern sie sich darüber, was wir mit den wunderbaren Gaben machen, die wir geschenkt bekommen haben.“
Ende der Entschädigungszahlungen
In Deutschland gilt zwar grundsätzlich die Trennung zwischen Kirche und Staat, doch zwischen den beiden Institutionen hat sich eine Zusammenarbeit auf Vertragsbasis entwickelt. Mit dem Vatikan besteht ein Konkordat, für die evangelischen Kirchen gelten Kirchenverträge.
Was die Kooperation mit den Kirchen angeht, will die neue Bundesregierung in einem Bereich ein Kapitel beenden: Sie will die sogenannten Ablösezahlungen an die Kirchen zu einem Ende bringen. Das Thema steht schon lange auf der Aufgabenliste, wurde aber nie angegangen. Nun will die Regierungskoalition ein „Grundsätzegesetz“ erarbeiten, um einen „fairen Rahmen für die Ablösung der Staatsleistungen“ festzuschreiben. So ist es in der gemeinsamen Koalitionsvereinbarung formuliert.
Die katholische Kirche und die evangelischen Kirchen erhalten zur zeit jedes Jahr etwa 540 Millionen Euro; die Zahlungen werden von den Bundesländern geleistet. Damit soll nun Schluss sein. Die SPD machte sich in den Verhandlungen der drei Parteien dafür stark, dass die Bundesländer (die es rechtlich nicht braucht) und die Kirchen an der zu findenden Regelung beteiligt werden.
Verfassungsauftrag blieb schon
über 100 Jahre liegen
Die Zahlungen an die Kirchen wurden als Ausgleich für die Enteignung des Kirchenbesitzes Anfang des 19. Jahrhunderts (Reichsdeputationshauptschluss von 1803) vereinbart. Bereits vor über 100 Jahren wurde in der Weimarer Verfassung (1919) der Auftrag formuliert, die Zahlungen zu beenden, im Grundgesetz (von 1949) wurde dieser Passus unverändert übernommen. Passiert ist in all den Jahren aber nichts. Das Ende der Zahlungen hatten FDP und Grüne in ihren Wahlprogrammen gefordert. Ein sogenanntes Ablösegrundsätzegesetz, das Grüne, Linke und FDP in der vergangenen Legislaturperiode in den Bundestag eingebracht hatten, fand keine Mehrheit und scheiterte.
Wertschätzung für Kirchen und Religionsgemeinschaften
Im Koalitionsvertrag der drei Regierungsparteien wird die Rolle der Kirchen und Religionsgemeinschaften sehr allgemein gewürdigt: „Kirchen und Religionsgemeinschaften sind ein wichtiger Teil unseres Gemeinwesens und leisten einen wertvollen Beitrag für das Zusammenleben und die Wertevermittlung in der Gesellschaft. Wir schätzen und achten ihr Wirken.“
Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Bischof Georg Bätzing, schrieb dazu in einem Glückwunschbrief an den neuen Kanzler Olaf Scholz: „Mit Interesse habe ich die Wertschätzung im Koalitionsvertrag wahrgenommen, die Sie den Kirchen und Religionsgemeinschaften gegenüber ausdrücken. Dafür danke ich Ihnen. Sicherlich wird es viele gesellschaftlich relevante Themen geben, zu denen wir bald ins Gespräch kommen sollten.“ Die Kirche wolle ihren Beitrag dazu leisten, die „Lebensverhältnisse der Menschen auf einem wertebasierten Fundament“ zu gestalten.
Kirchliches Arbeitsrecht an staatliches angleichen
Auf stärkeren Druck der Bundesregierung müssen sich die Kirchen im Bereich ihres Arbeitsrechtes einstellen. Im Koalitionsvertrag ist die Absicht formuliert, „gemeinsam mit den Kirchen (zu) prüfen, inwiefern das kirchliche Arbeitsrecht dem staatlichen Arbeitsrecht angeglichen werden“ könne. Davon unberührt bleiben „verkündigungsnahe Tätigkeiten“. In den Wahlprogrammen von Gelb und Grün wurde das Thema viel deutlicher angesprochen, indem gefordert wurde, die Privilegien der Kirchen, insbesondere im Arbeitsrecht, abzubauen. Doch hier, wie bei anderen Themen auch, hat die SPD Forderungen zulasten der Kirchen abgemildert.
Das gilt auch für die Lohnfindung bei den Kirchen. Diese geschieht nicht durch Streik und Arbeitskampf, sondern durch eine verbindliche Schlichtung. Dies ist auch verfassungsrechtlich abgesichert. Fachleute erwarten, dass die Bundesregierung die Mitgliedervertretungen in den Kirchen und ihren Wohlfahrtsverbänden (an erster Stelle Diakonie und Caritas) damit stärken will.
Verstärkte Ausbildung von Imaminnen und Imamen
Ein besonderes Augenmerk möchten die drei Koalitionäre künftig auf die muslimischen Religionsgemeinschaften werfen. So sollen die Ausbildungsprogramme „für Imaminnen und Imame an deutschen Universitäten“ ausgebaut und die Beteiligung von Muslimen am gesellschaftlichen Diskurs gefördert werden. „Wir wollen der Vielfalt des muslimischen Lebens Rechnung tragen und u.a. Jugendvereine
unterstützen. Der zunehmenden Bedrohung von Musliminnen und Muslimen und ihren Einrichtungen
begegnen wir durch umfassenden Schutz, Prävention und bessere Unterstützung der Betroffenen.
Zusammenarbeit der Religionsgemeinschaften und Orte der Begegnung fördern wir.“
Jüdisches Leben fördern
„Seit 1700 Jahren gibt es jüdisches Leben in Deutschland“, so der Text des Koalitionsvertrages. „Wir stärken Initiativen, die jüdisches Leben in
einer Vielfalt fördern, und bekämpfen alle Formen des Antisemitismus, wie es der Bundestag unter
Bezug auf die Definition der Internationalen Allianz zum Holocaust-Gedenken (IHRA) beschlossen hat.“
Schutz für Juden und Arbeit gegen Antisemitismus stärken
Weiter heißt es in der Vereinbarung der drei Parteien: „Den Schutz von Jüdinnen und Juden und ihren Einrichtungen werden wir gemeinsam mit den Ländern gewährleisten. Es ist ein beschämender und schmerzlicher Zustand, dass diese in Deutschland
dauerhaft bewacht werden müssen. Wir setzen uns für Prävention, sensibilisierende Aus- und
Fortbildungen sowie eine entschlossenere Verfolgung und Dokumentation antisemitischer Vorfälle
ein. Den Antisemitismus-Beauftragten werden wir strukturell stärken. Der Tag des Gedenkens an die
Opfer des Nationalsozialismus ́ soll aufgewertet werden.”