Abtreibung in den USA: Ex-Evangelikaler wettert gegen „seine“ Linken

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Früher evangelikal, heute links: US-Amerikaner Frank Schaeffer kritisiert beim Thema Abtreibung die Demokratische Partei scharf. Foto: Micah Danney

Trump tritt als erster amtierender Präsident auf einem „Marsch für das Leben“ auf und ergreift Partei für das ungeborene Leben – und für sich. Es ist Wahlkampf. Gleichzeitig erhalten die Abtreibungsgegner in den USA außergewöhnliche Unterstützung aus dem linken Lager. 

Evangelikale Christen in den USA erhalten zum Thema Abtreibung derzeit ungewöhnliche Schützenhilfe. Frank Schaeffer, prominenter Kritiker der evangelikalen Szene und Trump-Gegner, greift die eigenen Reihen öffentlich an. Die politische Linke habe das Thema gefährlich vereinfacht und in seiner Wirkung unterschätzt – und damit viele Wähler abgeschreckt. Das sagte Schaeffer jetzt dem US-amerikanischen Online-Magazin „Religion Unplugged“.

Vater Francis Schaeffer ist Ikone evangelikaler Christen

Frank Schaeffers Prominenz in den USA geht auf seinen Vater zurück, Francis A. Schaeffer. Der presbyterianische Theologe ist einer der bekanntesten modernen Apologeten. Schon zu Lebzeiten wurde er zu einer Ikone, für amerikanische, aber auch europäische Christen. Er starb 1984. Seine Kultur- und Gesellschaftsanalysen wie seine Kritik an den Abtreibungsgesetzen sind grundlegend für Weltsicht und Ethik wohl der meisten evangelikal geprägten Christen in den USA geworden.

Der Name Schaeffer steht damit „für ein familiäres Vermächtnis, das sich im Zentrum des amerikanischen Kulturkrieges und der politischen Spaltung“ befindet, sagt „Religion Unplugged“-Reporter Micah Danney. Die Frontlinie in diesem „Krieg“ verläuft zwischen Demokraten und Republikanern, Progressiven und Evangelikalen, Waffenfreunden und Waffengegnern, Abtreibungsbefürwortern und Abtreibungsgegnern, die Liste ließe sich fortsetzen. Weite Teile der Gesellschaft sind tief gespalten und stehen sich unversöhnlich gegenüber.

Frank Schaeffer kritisiert Evangelikale und Demokraten

Der Sohn Frank Schaeffer, 68 Jahre alt, hat seinem früheren evangelikalen Glauben und dem familiären Vermächtnis vor etwa 30 Jahren den Rücken gekehrt. Heute besucht er Gottesdienste der griechisch-orthodoxen Kirche, fühlt sich aber keinem Glaubenssystem zugehörig. Er nennt sich einen „Atheisten, der an Gott glaubt“. Politisch hält er sich zur progressiven Seite, kritisiert aber die Haltung der Demokratischen Partei zum Thema Abtreibung als „sklavisch und dogmatisch“. Es täte schon weh, sagt er, wie sie „die ernstliche moralische Empörung auf der anderen Seite“ ignoriere.

Frank Schaeffer kreidet der politischen Linken an, dass sie „viele konservative Leute nicht respektiert und abgelehnt“ habe. „Ich spreche über normale Leute überall in Amerika, die versuchen, ihre Familien großzuziehen, die selbst auf eine Art erzogen wurden, und ihr sagt ihnen, sie sollen jetzt in etwas eintauchen, was für sie wie ein Säurebad sozialen Wandels“ ist. Diese Ablehnung von links, sagt Frank Schaeffer, habe konservative Wähler dazu gebracht, für Trump zu stimmen.

Trump kämpft bei „Marsch für das Leben“ um Wählerstimmen

Die US-amerikanische Bevölkerung spaltet sich in Bürger „pro life“ (Abtreibungsgegner) und „pro choice“ (Abtreibungsbefürworter). Die Auseinandersetzung, die mit großer Schärfe geführt wird, hat in den USA eine sehr viel größere Bedeutung als in Deutschland – auch politisch. Evangelikale Christen stehen dabei traditionell auf der „pro life“-Seite. Sie sind in den USA eine wichtige Wählergruppe.

Offizielles Porträt Donald Trump, Präsident USA, whitehouse.gov
Donald Trump kann auch freundlich, wie das offizielle Foto des Weißen Hauses zeigt. Foto: whitehouse.gov

Wie wichtig sie sind, zeigt sich gerade jetzt wieder im aktuellen Wahlkampf. Als erster amtierender Präsident überhaupt hat Donald Trump vor wenigen Tagen am jährlichen „March for Life“, dem „Marsch für das Leben“ der Abtreibungsgegner, in Washington D.C. teilgenommen. Unweit des Kapitols, in dem Trumps Verteidiger im laufenden Amtsenthebungsverfahren gerade zu den Vorwürfen der demokratischen Partei gegen ihn Stellung beziehen, behauptete Trump: „Sie sind hinter mir her, weil ich für Euch kämpfe, und wir kämpfen für die, die keine Stimme haben.“

Diesen Tanz Trumps mit der Mehrzahl der evangelikalen Christen sieht Frank Schaeffer mit Sorge: Trump hat es geschafft, so Schaeffer, republikanische Wähler, die anfangs nur widerstrebend für ihn gestimmt hatten, zu glühenden Anhänger zu machen. „Trump hat das evangelikale Christentum in eine neue Religion verwandelt.“

Evangelikale sind bei Abtreibung „tief moralisch verletzt“

Zumindest biologisch gesehen beginnt für Frank Schaeffer das Leben mit der Empfängnis. Er steht allerdings auf der Seite der „pro-choicer“, der Abtreibungsbefürworter. Eine liberale Rechtsauffassung im Sinne des „Roe gegen Wade“-Urteils von 1973 aber lehnt er ab. Einen Schwangerschaftsabbruch bis zum Ende des dritten Monats generell zu legalisieren, sei für eine „riesengroße Zahl Amerikaner“ mit grundlegenden religiösen Überzeugungen wie ein Schlag ins Gesicht gewesen.

Für Schaeffer wurde das Teil einer „tiefen moralischen Verletzung“. Er sagt: „Wir tun so, als ob die Hälfte unserer Bevölkerung nicht existieren würde und wir sagen ihnen, dass sie einfach damit klarkommen sollen.“ Auf nationaler Ebene und mit Ernsthaftigkeit darüber zu sprechen, auf welche Weise Abtreibungen durchgeführt werden, sieht er als Anfang für ein besseres Miteinander. Die Zukunft der Genomforschung ist ein weiteres Thema. Denn hinter all dem, sagt Schaeffer, steht die Frage, wie wir menschliches Leben betrachten und wie wir auf dieses Leben Einfluss nehmen.

„Roe gegen Wade“ schrieb Rechtsgeschichte und bleibt umstritten

schwangere mit Bauch als gebrochener Schale, Abtreibung Debatte in USABeim „March for Life“ demonstrieren seit 1974 jedes Jahr Abtreibungsgegner in Washington D.C. gegen das Grundsatzurteil des Obersten Gerichtshof im Fall „Roe gegen Wade“. Dieses höchstrichterliche Urteil hatte 1973 die Abtreibungsgesetze in den USA entscheidend liberalisiert.

Das verfassungsmäßige Recht einer Frau auf Privatsphäre und Selbstbestimmung war von den Richtern so interpretiert worden, dass in der Folge Abtreibungen innerhalb der ersten drei Monate grundsätzlich legal wurden. Gesetzlich verbieten dürfe der Staat eine Abtreibung erst, wenn der Fötus auch außerhalb des Mutterleibs überleben könnte. In den folgenden Jahrzehnten wurde die kontroverse Entscheidung in Teilen, aber nicht grundsätzlich revidiert.

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