Die derzeitige Verbreitung des Corona-Virus wirft zahllose Fragen auf: Welche Regeln gelten? Wird es bei uns so schlimm wie in Italien? Was gibt es an neuen Informationen über das Virus, wie wirkt es und wie stecken sich Menschen an? Viele suchen in der Krise verlässliche Informationen. Doch wie gehen Medien mit ihr um? Und wie Staaten? Eine Analyse von Norbert Abt.
Medien werden so häufig und intensiv „konsultiert“, wie schon lange nicht mehr. Menschen versuchen sich zu informieren und in der unübersichtlichen Lage zu orientieren. Die Ansprache von Bundeskanzlerin Angela Merkel am 17. März sahen fast 27 Millionen Menschen im linearen Programm von ARD und ZDF! Dazu kamen zahllose weitere Mediathek- und Youtube-Besuche.
Es sind die demokratischen Gesellschaften wie die in Deutschland, die einen freien und ungehinderten Zugang zu Medien und deren Informationen garantieren, fragwürdige und unseriöse Medien inklusive. Und dieser freie Zugang zu Medien ist in einer Krise von besonderer Bedeutung.
Die Frage nach dem Vertrauen
In der augenblicklichen Corona-Pandemie rücken aber nicht nur die Medien ins Blickfeld, sondern auch die verschiedenen politischen Systeme, wie sie mit der Krise umgehen und welches Vertrauen ihnen die Bevölkerung entgegenbringt. Transparenz, verlässliche Information und Ehrlichkeit sind die Grundlage für Vertrauen und Loyalität der Bevölkerung gegenüber ihrer Führung.
Der Populismus kommt an seine Grenzen
Da sehen dann Populisten wie die Präsidenten Donald Trump und Jair Bolsonaro, aber auch Premierminister Boris Johnson nicht sonderlich überzeugend aus, weil sie die Lage verharmlost und sich ihre eigene Wahrheit zu Corona „gebastelt“ haben. Hier kommt denn auch das populistische und wahrheitsverdrehende Gerede mancher Politiker an seine Grenzen, weil Fakten – in diesem Fall Kranke und Tote – ihr Schönreden entlarven. So wirken diese Politiker in der aktuellen Krise teilweise auffallend naiv und überfordert. Sieht man einmal von Viktor Orbán ab, der die Situation eiskalt für einen Machtzuwachs zu nutzen gedenkt.
Chinesische Führung kämpfte mit Vertrauenseinbruch
Doch in dieser Krise kommen auch handlungsstarke, autoritäre Staaten an ihre Grenzen. Und so kann deren Glaubwürdigkeit in kürzester Zeit ins Bodenlose stürzen: Das musste die chinesische Staatsführung erleben, als ihr mehr als eigenwilliger Umgang mit Informationen – man müsste wohl eher von Lügen und Propaganda sprechen – zu einem bislang kaum dagewesenen Misstrauen und offener Kritik in der Bevölkerung führte. Ähnliches vollzieht sich womöglich im Iran. Bisheriges Vertrauen schlägt angesichts der gesundheitlichen Bedrohung mit einem Mal in Misstrauen und Zorn und ab einem gewissen Punkt in offenen Widerstand um, nämlich dann, wenn die Angst vor der Corona-Bedrohung größer ist als die vor der staatlichen Unterdrückung.
Russland: Nur ein einziges Corona-Opfer
Auch die russische Staatsführung zeigt einen mehr als fragwürdigen Umgang mit der Wahrheit: Die staatsgelenkten Medien verzeichnen – was für ein Wunder! – bisher nur einen einzigen Corona-Todesfall. Dafür aber auffallend viele Menschen, die an einer Lungenentzündung oder anderen Lungenkrankheiten sterben. Anastasija Wassiljewa, Vorsitzende der Gewerkschaft „Allianz der Ärzte“, rief ihre Kolleginnen und Kollegen auf, die Situation über die Corona-Ausbreitung in Russland nicht länger zu verschweigen. Das Moskauer Gesundheitsamt drohte ihr sogleich mit einer Verleumdungsklage.
Was in der aktuellen Krise gebraucht wird sind Politiker, die sich in die Materie der Probleme einarbeiten, von Experten beraten lassen, die Wahrheit sagen und Entscheidungsstärke zeigen. Das schafft Vertrauen. Bei allen möglichen Fehlern zeigen Politiker im Bund und in den Ländern, übrigens auch die meisten der Opposition, dass sie hart dafür arbeiten, möglichst viele Menschen vor Corona zu schützen und die wirtschaftlichen Folgen nach Möglichkeit zu verringern.
Fragwürdige Berichterstattung
In der Corona-Krise kommt den freien Medien eine Schlüsselfunktion zu. Sie bieten nicht nur Wissen, sondern begleiten die Politiker und ihr Handeln kritisch – das ist ihr Auftrag. Doch schießen Journalisten seriöser Medien in der aktuellen Krise auch über das Ziel hinaus:
Da beschließen Bund und Länder gemeinsam ein Konzept, um Kontakte zwischen Menschen (außerhalb des Berufs) auf ein Minimum zu reduzieren. Viele Medien konzentrieren sich in ihren Berichten aber mehr auf unwesentliche Unterschiede der Umsetzung in den Bundesländern oder den Streit zwischen den Ministerpräsidenten Armin Laschet und Markus Söder. Was dann in den Köpfen vieler hängen bleibt, ist Durcheinander und Zwist.
Es ist keine Mathematik
Per se vermitteln die meisten Medienberichte das Gefühl, als seien unterschiedliche Bestimmungen in den Bundesländern fragwürdig und ein großes Problem. Das Ganze läuft in der Logik: Es kann nur eine einzige, allgemeingültige Wahrheit geben. Alles andere ist fragwürdig und von Übel. Doch es geht hier nicht um Mathematik, wo es immer nur eine Lösung gibt und wo 1 und 1 immer gleich 2 ist.
Überzogene Fragen – Hauptsache kritisch
Immer wieder fragen Journalisten politisch Verantwortliche nach Prognosen und Vorhersagen zur Corona-Krise, die auch bei bestem Willen nicht zu leisten sind. Die Gefragten erscheinen dann angesichts unbefriedigender Antworten, als wüssten sie nicht wirklich Bescheid und handelten kurzsichtig.
Da fragt beispielsweise die Phoenix-Moderatorin Sara Bildau Kanzleramtsminister Helge Braun, ob die Bundesregierung bereit sei, die Verantwortung für die Anwendung eines möglichen Medikamentes zu übernehmen, weil vermutlich nicht ausreichend Zeit für Tests zur Verfügung steht. Da wird also ein Fall erörtert, der nicht gegeben ist, und ein Verantwortlicher soll bereits verbindlich und öffentlich die Haltung der Regierung dazu erläutern. Da kann man nur fragen: Wie bitte?! – Geht’s noch?!
Immer wieder werden Politiker von Journalisten danach gefragt, ob ein anderes Vorgehen in der Vergangenheit oder in der Gegenwart nicht viel naheliegender und erfolgversprechender wäre. Dabei wird oft nicht deutlich, dass Entscheidungen zumeist in einem schwierigen Abwägungsprozess getroffen werden.
Vieles wird erst später klar sein
So fragte Anne Will ihre Gesprächspartner nach dem Bund-Länder-Beschluss zum Kontaktverbot: „Haben Kanzlerin Merkel und die Ministerpräsidenten also alles richtig gemacht?“ So, als sei diese zusammengewürfelte Talkgruppe nun die überlegene und maßgebliche Jury, die die Maßnahmen prüft und letztlich richtig fachlich bewertet. Doch tatsächlich wird diese Frage, wie so viele andere im Zusammenhang mit der Corona-Krise, erst die Zeit danach beantworten.
Deutschland ist ein Land, in dem die Medien frei arbeiten und selbstverständlich (!) Verantwortungsträger hinterfragen und kritisieren. Das ist gut so. Für mich stellt sich aber in der aktuellen Krise die Frage, ob Augenmaß und Verhältnismäßigkeit verloren gegangen sind.
Überheblich und selbstgerecht
Ziel dieses Kommentars ist nicht eine unkritische Hofberichterstattung, ganz bestimmt nicht! Aber es fehlt immer wieder der Hinweis auf ein größeres Verständnis für die Besonderheit dieser beispiellosen Krise. Angesichts dessen könnten manche Fragen und manche Berichterstattung weniger überheblich, besserwisserisch und selbstgerecht sein.
Erosion des demokratischen Systems
Bisweilen vermitteln aber selbst seriöse Medien offen oder indirekt den Eindruck, als stünden sie über den Dingen und könnten die schwer erträgliche Unbeholfenheit und Kurzsichtigkeit der politischen Akteure entlarven. Damit leisten sie vielleicht einen ungewollt größeren Beitrag zur Erosion des demokratischen Systems, als ihnen lieb sein dürfte und sollte.