Tony Rinaudo macht die Wüsten wieder grün

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Tony Rinaudo erklärt Kleinbauern im Sahel, wie Bäume den Ertrag ihrer Felder vermehren. Foto: World Vision

Wieder einmal wartet die Welt auf Weichen, die eine Weltklimakonferenz stellen soll. Bis Mitte Dezember verhandeln die Länder in Madrid über ihren Beitrag zum Klimaschutz. Wieder einmal haben Dürre, Borkenkäfer, Brände und Rodungen in diesem Jahr gezeigt, wie sehr der Baum als Klima-Regler in Gefahr ist. Dabei ist er die womöglich letzte Bastion gegen den massiven Energiehunger einer Welt, die sich nicht beschränken will. Für die Rückkehr des Waldes in Trockengebieten hat der australische Agraringenieur Tony Rinaudo ein unglaublich einfaches Mittel gefunden und dafür vor einem Jahr den Alternativen Nobelpreis erhalten. Filmemacher Volker Schlöndorff plant eine Doku über ihn. Als „Held“ jedoch sieht sich Rinaudo ganz sicher nicht. Und das, obwohl die Idee Hunger und Armut im Sahel bereits jetzt wirkungsvoll bekämpft. Ein Porträt eines Mannes und seiner Mission.

Ein altes Klappmesser hat der schmale, grauhaarige Australier immer dabei, wenn er im Niger unterwegs ist, dem ärmsten Land im ohnehin bitterarmen Sahel. Auf den trockenen, verödeten, sandigen Böden der nigrischen Savanne kniet Tony Rinaudo und beschneidet sorgfältig das überall verbreitete wilde Gestrüpp. Ziemlich nutzloses Zeug war es für die Bauern, das im Ackerland störte, aber als Brennholz taugte – zumindest dachte das früher jeder. Doch für Rinaudo, den „verrückten weißen Bauern“, wie ihn Einheimische nennen, liegt in den struppigen Büschen ein Schlüssel für die ganz großen Probleme Afrikas – wenn nicht gar der globalisierten Welt.

Als man in Deutschland Anfang der 80er-Jahre den sauren Regen für den Totengräber des deutschen Waldes hielt, war Tony Rinaudo bereits im Sahel unterwegs. Dürren und Hungersnöte hatten die Region hart getroffen. 1980 kam er als Entwicklungshelfer mit einer evangelischen Missionsorganisation in den Niger, 23 Jahre alt, frisch gebackener Agraringenieur, jung verheiratet. Zweieinhalb Jahre lang pflanzte er dort Baumsetzlinge gegen die Versteppung des Landes an. Doch ohne großen Erfolg: Von rund 60 Millionen Bäumen, die innerhalb von 12 Jahren im Niger gepflanzt wurden, überlebten weniger als 20 Prozent, schätzt Rinaudo.

Trockenheit, Schädlinge, Sandstürme und von intensiver Nutzung ausgelaugte Böden waren ein Problem. Hungrige Ziegen und ignorante oder schlicht fehlende Menschen für die Baumpflege das andere. Millionen von US-Dollar wurden so allein im Niger buchstäblich in den Sand gesetzt, berichtet der Agronom in einem Buch des Journalisten Johannes Dieterich, in dem er seine Geschichte erzählt.

Diese Misserfolge, wie sie auch Rinaudo in seinen ersten Jahren im Niger zu spüren bekam, haben viele Wissenschaftler skeptisch werden lassen gegenüber der schon Jahrzehnte alten Idee einer „großen grünen Mauer“ aus Bäumen, die den Sahel von der Sahara trennen und das gefährdete Land vor der Ausbreitung der Wüste schützen soll. 2007 wurde die „Great Green Wall“ zum Großprojekt der Afrikanischen Union erklärt und Teil des Abkommens der Vereinten Nationen zur Bekämpfung der Wüstenbildung (UNCCD).

Tatsächlich sollte das zu Beginn eine gigantische Baumpflanz-Aktion sein: auf einer Länge von rund 8000 Kilometern, einmal quer durch den Kontinent. Einer der Kritiker ist Chris Reij. Er erforscht nachhaltige Landbewirtschaftung am World Resources Institute in Washington D.C. und kannte die Lage in Afrika seit 1978. Was er von diesem ursprünglichen Vorhaben hielt, spitzte er 2016 für das US-Wissenschaftsmagazin „Smithsonian“ zu: „Wenn alle Bäume überlebt hätten, die seit den frühen 80ern in der Sahara gepflanzt worden sind, würde es dort aussehen wie im Amazonas.“

Die Revolution war längst im Gang

Doch lange Zeit vom öffentlichen Auge unbemerkt war auf afrikanischem Boden längst eine andere Revolution im Gang – eine der ganz langsamen Art. 2004 reiste Reij nach Jahren wieder in den Niger und nach Burkina Faso und konnte kaum glauben, was er vorfand: Zuvor staubtrockene Erde war von Grün bedeckt, es war eine Metamorphose im ganz großen Stil. Hunderttausende Kleinbauern hatten Ödland in fruchtbares Land verwandelt und etwa drei Millionen Menschen besser mit Nahrung und Brennstoff versorgt.

„Diese Wiederbegrünung lief unterhalb unseres Radars, unterhalb eines jeden Radars, weil die Satellitenbilder, die wir verwendeten, nicht detailliert genug waren“, schildert der US-amerikanische Geograf Gray Tappan 2016 die Entdeckung im „Smithsonian Magazine“. In der nigrischen Region Zinder erfasste Tappan demnach bereits im Jahr 2004 50mal mehr Bäume als 1975. Rund fünf Millionen Hektar Land wurden anders bewirtschaftet, „grüner“ eben – eine Fläche, größer als die Slowakei. Wie war das möglich? Auf der Suche nach einer Antwort stießen die beiden Wissenschaftler auf die Spur des „verrückten weißen Bauern“ aus Australien: Tony Rinaudo.

Tony Rinaudo zeigt Farmern in der Maradi-Region im Niger, wie er Baumsprösslinge beschneidet. Foto: Johannes Dieterich

1983 hatte Rinaudo im Niger angefangen zu experimentieren, mit einem Klappmesser und dem ungeliebten ortstypischen Gestrüpp. Kümmerliche Büsche wuchsen durch Beschnitt und Pflege wieder zu mehrere Meter hohen Bäumen heran. Heute heißt diese Methode „Farmer Managed Natural Regeneration“ oder kurz FMNR. Gemeint ist: Die Bauern organisieren das Wachstum der in der Natur vorhandenen Bäume selbst. Alles, was sie brauchen, ist ein Messer, eine Anleitung für den Schnitt und Geduld. Es ist eine Wiederbegrünung praktisch zum Nulltarif, und sie ist auch für die ärmsten Bauern machbar. Es ist Hilfe zur Selbsthilfe in Reinform, ohne neue Abhängigkeiten.

Er fand den “unterirdischen Wald”

Die Idee dazu kam als eine Offenbarung Gottes, sagt der gläubige Agronom aus Melbourne. 1983 hatte Rinaudo diesen einen Schlüsselmoment: Er war tief demoralisiert, ohne Hoffnung und wollte aufgeben. Das Aufforsten mit Baumsetzlingen funktionierte nicht, es hatte keinen Sinn. Er hielt das Auto an, um Luft aus den Reifen zu lassen und so besser durch den Sand steuern zu können. Als er über die karge Landschaft blickte, betete er. „Ich bat Gott, mir die Augen zu öffnen und mir einen Wink zu geben, was ich noch tun könnte“, erinnert sich Rinaudo. „An jenem Tag betrachtete ich zum ersten Mal bewusst einen der überall auf den verheerten Böden wachsenden kleinen Büsche.“

Er erkannte: Was er für Unkraut gehalten hatte, waren die Überreste lange gefällter Bäume, aus deren Stümpfen neue Triebe wuchsen: „In diesem Augenblick wurde mir klar, dass hier die Lösung lag, nach der ich so lange gesucht hatte.“ Die Büsche wuchsen überall. Es gab einen „unterirdischen Wald“, dessen Wurzelwerk unbeschadet unter der vertrockneten, sandigen Erde auf Wiederbelebung wartete. „In Wahrheit bestand gar keine Notwendigkeit, Bäume neu zu pflanzen. Sie waren vielmehr schon millionenfach vorhanden, aber eben unsichtbar im Boden versteckt, in Form vergrabener Baumstümpfe, Wurzeln und Samen.“

Überzeugungsarbeit: Ein mühsames Geschäft

In der europäischen Forstwirtschaft hat ein Niederwald aus ausschlagenden Wurzelstöcken eine lange Tradition. Nicht so im Niger, war die Erfahrung von Tony Rinaudo. Tief saßen die Überzeugungen noch von den französischen Kolonialherren, nach denen Baum und Strauch im modern bewirtschafteten Feld nichts zu suchen hatten. Monokultur hatte in dem rasant wachsenden Land zunächst für mehr Produktion an Lebensmitteln gesorgt, dann aber allmählich die Verheerung der Böden nach sich gezogen. Wo das Schatten spendende Grün fehlt, wo Baumwurzeln keine Nährstoffe und Wasser im Boden halten, wo das Land ausgelaugt wird, wo Lebensraum für Schädlingsfresser fehlt, wird das Land allmählich zur Wüste.

Rinaudo reiste von Dorf zu Dorf, sprach mit Dorfvorstehern, hielt Versammlungen, setzte auf die Mutigen, die bereit waren, die neue Methode zu versuchen, auch wenn sie sich dadurch zum Gespött des Ortes machten. Leider kam ein größeres Umdenken erst nach einer schlimmen Hungersnot Mitte der 80er-Jahre, erinnert sich der Australier. Am Ende war es Mund-zu-Mund-Propaganda und der unermüdliche Einsatz mutiger nigrischer Kleinbauern, der Mitarbeiter vor Ort, befreundeter Missionare und der evangelischen Kirche im Niger, sagt Rinaudo.

Vierzigmal so viele Bäume im Niger

Das neue Konzept stellte die verfehlte koloniale Landwirtschaft heilsam auf den Kopf: Es war eine Bewegung von unten nach oben. Für den Australier „eine beachtliche Leistung der nigrischen Farmer“ – denn 2016 waren es nach Messungen von Gray Tappan vom US Geological Survey bereits 7 Millionen Hektar Land, die im Niger mit FMNR bewirtschaftet wurden, eine Fläche in etwa so groß wie Irland. Den Baumbestand schätzt die Hilfsorganisation World Vision, für die Tony Rinaudo seit 1999 arbeitet, auf rund 200 Millionen Bäume, verglichen mit nur 5 Millionen Anfang der 80er-Jahre.

Köhler hatten einst den „Nilpferdrücken“ in Humbo in Äthiopien kahl geschlagen. So sah der Hügel 2006 aus, bevor die Wiederaufforstung begann. Foto: World Vision

Mit Projekten in Äthiopien begann Rinaudo 1999, mit noch größerem Erfolg: Projekte in Sodo und Humbo erwirtschaften heute Gewinn aus der Wiederaufforstung. Es ist Geld, das in Humbo wieder in Bewässerungsanlagen, einen Getreidespeicher und eine Mühle investiert wurde. Ernteüberschüsse ernähren die Bevölkerung in ärmeren Landesteilen. Mittlerweile wird FMNR in mehr als 20 afrikanischen Ländern angewandt, auch im Senegal, in Ghana, Somaliland, Sambia, Uganda, Mali, Burkina Faso. Bis 2030 wollen die Afrikanische Union, das World Resources Institute und andere Organisationen 100 Millionen Hektar Land in Afrika auf diese Weise regenerieren.

Der “Nilpferdrücken” ist 2012 wieder grün, sechs Jahre nach Start des FMNR-Projekts. Foto: World Vision

Doch noch etwas ganz anderes hat zum Erfolg beigetragen. Menschen, die ihn kennengelernt haben, sagen: Es ist die Augenhöhe, auf der der frühere Missionar Tony Rinaudo seinen afrikanischen Projektpartnern begegnet, er nimmt an ihrem Leben teil, in ihrer Sprache. Er trauert mit, wenn die Ziege gestorben ist, freut sich mit an einer erfolgreichen Baum-Veredelung. Er verteilt auch mal einen Rüffel, wenn sich jemand zu wenig Mühe gibt. Er ist hartnäckig und entschlossen – und voll von positiver Energie. „Selten habe ich einen hellhäutigen Menschen erlebt, der mit der afrikanischen Bevölkerung dermaßen ,in tune’ ist“, sagt Journalist und Afrika-Korrespondent Johannes Dieterich, der seit knapp 30 Jahren aus Johannesburg berichtet. Besserwisserei sei Rinaudo „ebenso fremd wie Zynismus – oder die Ursünde des weißen Helferheeres, der Paternalismus“.

Das Mikroklima ändert sich

Die Bäume jedenfalls bedeuten für den Sahel die Welt – und eine Bewegung, die im Sahel begann, kann für Trockenregionen auf der ganzen Welt bedeutsam werden. Bäume können, dessen ist man sich heute sicher, das Mikroklima beeinflussen. Sie bringen wieder mehr Regen auf die Felder, senken die Bodentemperatur, spenden Tieren und Menschen Schatten. Sie schützen den Boden vor heftigen Winden und Erosion und bieten Tieren einen Lebensraum, die Schädlinge fressen. Sie steigern die Ernteerträge massiv. Sie liefern Blätter für das Vieh und Brennholz. Veredelt tragen sie Früchte, die auf dem Markt gutes Geld bringen. In Landschaften mit Baumbestand steigt der Grundwasserspiegel, Brunnen und Quellen führen wieder Wasser. In harten Zeiten ist ihr Holz der Notgroschen, der vor der ganz großen Katastrophe bewahrt.

Das weckt Erinnerungen an die bildgewaltigen Verheißungen des Propheten Jesaja aus dem Alten Testament: Gott lässt dort in der Wüste Bäume wachsen, es brechen Wasserquellen hervor, die Steppe blüht. 2017 kehrte Tony Rinaudo in den Niger zurück. 34 Jahre nach den FMNR-Anfängen im Maradi-Gebiet sieht er die „Freude, den Stolz und die Würde“ in den Gesichtern der Menschen und er spürte das „tiefe Gefühl der Freude, dass Gott gerade mich ausgesucht hatte, um den Menschen in diesem Land zu einem besseren Leben zu verhelfen.”

Alternativer Nobelpreis soll die Idee verbreiten helfen

Anfang 2020 soll der Dokumentarfilm „The Great Green Wall“ in deutschen Kinos und im Fernsehen zu sehen sein. Ende August feierte der Film Weltpremiere auf den Filmfestspielen von Venedig. Ob darin auch ein grauhaariger Australier in kurzärmeligem Hemd und mit Baseballcap zu sehen sein wird, wie er auf dem Boden kniet und mit einem abgewetzten Messer kleine Bäumchen beschneidet? Tony Rinaudo wird das nicht kümmern.

2018 gewann er den „Right Livelihood Award“, den Alternativen Nobelpreis für seine Methode zur Wiederaufforstung, gemeinsam mit Yacouba Sawadogo, einem Bauern aus Burkina Faso. Was ihn daran interessierte, war die „fantastische Gelegenheit, FMNR weltweit bekannt zu machen und so kahle Regionen dieser Welt wieder zu begrünen. Mein Traum ist es, dass FMNR nun überall dort eingesetzt wird, wo die Menschen leiden und Kinder hungern, weil es kein Grün mehr gibt, weil die Erde verdorrt ist und die Böden ausgelaugt sind. Aber wir können das verhindern und wir wissen, wie es geht.“

  • Buch: Johannes Dieterich (Hg.): Tony Rinaudo – der Waldmacher. Zürich: rüffer & rub Sachbuchverlag 2018.

 

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