Wie halte ich es mit den Corona-Regeln? – Wenn mit zweierlei Maß gemessen wird

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Die Infektionszahlen erreichen gigantische Höhen. In einigen Ländern liegen die täglichen Infektionszahlen im sechsstelligen Bereich, Deutschland liegt – noch – unter der 100.000-Marke, die Sieben-Tage-Inzidenz hat mit fast 500 den höchsten Wert der gesamten Coronapandemie erreicht. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) erwartet, dass sich die Hälfte der Menschen in Europa in zwei Monaten mit der Omikron-Variante des Coronavirus infiziert haben wird. Ein Kollaps der Krankenhäuser scheint nur noch eine Frage der Zeit zu sein. Fachleute befürchten, dass weitere Bereiche der Gesellschaft wegen der neuerlichen Infektionswelle bald nicht mehr funktionieren. In dieser Situation sorgen Boris Johnson und Novak Djokovic für Schlagzeilen, weil sie sich nicht an Coronaregeln hielten. Der Ärger darüber ist groß.

Im Mai 2021 nahm Boris Johnson an einem Gartenfest seines früheren Kommunikationschefs an seinem Amtssitz teil. Und das zu einem Zeitpunkt, als die britische Regierung der Bevölkerung nur Kontakte zu einer einzigen Person erlaubte; das Haus zu verlassen war nur in  Ausnahmefällen erlaubt. Zudem befand sich das Land wegen des Todes von Prinz Philipp in Staatstrauer, am Folgetag wurde der verstorbene Ehemann der Queen beigesetzt. In Großbritannien erwarten manche nun wegen des offensichtlichen Fehlverhaltens von Johnson das Ende seiner Regierung. Viele im Land haben kein Verständnis mehr für die Eskapaden ihres Premierministers. Erste konservative Abgeordnete fordern seinen Rücktritt.

Isolationsregel missachtet oder falsche Angaben?
Anders und etwas verworrener stellen sich die Regelbrüche bei dem serbischen Tennis-Weltranglistenersten Novak Djokovic dar: Er machte zunächst keine Angaben darüber, dass er bereits an Corona erkrankt war, und nahm es auch sonst mit den Formularen für seine Einreise nach Australien nicht so genau. Nun entzog ihm Einwanderungsminister Alex Hawke das Visum. Die Entscheidung wurde vom australischen Bundesgericht bestätigt und so finden die Australian Open ohne den Favoriten statt.

Obwohl ein PCR-Test am 17. Dezember nachgewiesen haben soll, dass Djokovic an Corona erkrankt war, hielt er die vorgeschriebene 14-tägige häusliche Isolation nicht ein. Einen Tag nach dem positiven Testergebnis führte er ein Interview und traf sich mit Kindern – ohne Maske und Abstand. Manche Kritiker spekulieren, dass der Test und dessen Ergebnis eine Erfindung sein könnten, damit der Impfgegner Djokovic als Genesener zum Tennisturnier zugelassen werden konnte. Die Aufregung der letzten Tage bekam noch eine zusätzlich absurde Note, als die Eltern vor die Presse traten und ihren Sohn gar in der Rolle eines Märtyrers sahen. Seine zunächst erlaubte Einreise bezeichnete seine Mutter als den größten Sieg ihres Sohnes. Der Vater verglich Djokovic gar mit Jesus: „Jesus wurde gekreuzigt, ihm wurde alles angetan, und er ertrug es und lebt immer noch unter uns. Jetzt versuchen sie Novak auf die gleiche Weise zu kreuzigen und ihm alles anzutun.“

Asoziales Verhalten
Dass sich Personen der Öffentlichkeit derart egoistisch verhalten, das Wort asozial wäre hier angebracht, sorgt zu Recht für öffentliche Empörung und Kritik. Denn es geht hier nicht nur um deren Glaubwürdigkeit und Vorbild-Funktion. Ein Gemeinwesen braucht die Bereitschaft von allen, sich im Blick auf die Schwächeren solidarisch zu verhalten und eigene Bedürfnisse zurückzustellen. Und dies gilt in noch höherem Maße für Politikerinnen und Politiker, die für die Coronaregeln verantwortlich sind. Wer will erwarten, dass Regeln in der Gesellschaft akzeptiert werden, wenn sie selbst von denen missachtet werden, die sie beschlossen haben?

Nicht so schnell auf andere zeigen
Sich an Regeln zu halten – das ist nicht nur von Prominenten und Politikern zu erwarten, sondern von allen. Es gibt in unserer Entrüstungs-Gesellschaft immer wieder Grund dazu, sich über Politiker und über „die da oben“ zu ärgern. Doch wer  lautstark schimpft, es aber dann, wenn er nicht kontrolliert oder beobachtet wird, genauso macht, sollte einmal in sich gehen, anstatt empört auf andere zu zeigen. Denn es gibt nicht wenige, die sich vor allem dann nicht an die Regeln halten. Insofern ist viel von der Empörung wohlfeil und oft nur geheuchelt. Und damit sind hier nicht diejenigen gemeint, die Corona leugnen oder auf Demos und Spaziergängen zum Ausdruck bringen, dass sie alle Coronaregeln grundsätzlich ablehnen. – Darum soll es hier nicht gehen.

Sind die Deutschen wirklich so diszipliniert und regelbewusst?
Keine Frage, die Mehrheit der Menschen in Deutschland hält sich an die Bestimmungen und zeigt Verantwortung. Doch es gibt auch viele, die sich – meist aus Bequemlichkeit – nicht an Abstände und Hygiene-Regeln halten oder vorgeschriebene Isolations- und Quarantäne-Zeiten ignorieren oder eigenmächtig abkürzen. Andere besuchen Veranstaltungen und Einrichtungen trotz Erkältungssymptomen. Wieder andere reisen und erfinden dafür einen beruflichen Grund. Manche betrachten die Coronaregeln eher als Empfehlung und denken: „Wer wird es schon so genau nehmen? Das ist doch kleinlich. Ein bisschen Spaß wird doch wohl noch möglich sein. Und überhaupt, dieses eine Mal …“ Der Chefredakteur der „Zeit“, Giovanni DiLorenzo, hat in einer Talksendung darauf hingewiesen, dass es im Alltag oft nicht sehr weit her ist mit dem sprichwörtlich regelbewussten und disziplinierten Verhalten der Deutschen. Es ist ein Vorurteil, das tatsächlich allzu oft nicht zutrifft.

Bekannt werden, wie sollte es anders sein, vor allem die prominenten Regelbrecher. Doch Hand aufs Herz: Wie oft umgehen wir im Alltag die Regeln und biegen sie uns so zurecht, weil es uns lästig ist? Menschen der Öffentlichkeit werden zu Recht auf ihre Vorbildfunktion angesprochen und kritisch beäugt. Doch so mancher Kritiker misst mit zweierlei Maß. Es kann nicht sein, dass wir empört auf andere zeigen und es selbst nicht besser machen. Wie lautete noch einmal die Volksweisheit mit der „eigenen Nase“?

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