Indien ist auf dem Weg zu einer Hindu-Republik

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Premier Narendra Modi bei der Einweihung des Tempels in Varanasi Mitte Dezember 2021. Foto: Presseinformationsbüro der indischen Regierung.

Seit Mai 2014 ist Narendra Modi indischer Premierminister. Der Politiker der regierenden hindu-nationalistischen „Bharatiya Janata Partei“ (BJP) lässt keinen Zweifel daran, dass er Indien Schritt für Schritt zu einem Hindu-Staat machen will. Damit bricht er auch mit dem Selbstverständnis der Unabhängigkeitsbewegung unter Nehru und Gandhi, die Teil des indischen Bewusstseins ist. Zugleich birgt diese Politik gewaltigen gesellschaftlichen Zündstoff. Sie richtet sich vor allem gegen Muslime, die größte religiöse Minderheit im Land.

Am 13. Dezember des vergangenen Jahres kam Premierminister Modi zur Einweihung des neuen Tempelbezirks, der in Varanasi in zweieinhalb Jahren um den bedeutenden alten Kashi-Vishvanath-Tempel herum gebaut wurde. Dabei sprach er teilweise mehr wie ein Priester statt wie ein Regierungschef, der sich allen Bevölkerungsgruppen verpflichtet weiß. In einem Sprechgesang stellte er vor den jubelnden Hindu-Gläubigen fest: „Überall ist Lord Shiva, Sieg der Mutter Annapurna, Sieg der Mutter Ganga“ – mit diesen religiösen Formeln begann er seine Rede in Varanasi am für Hindus heiligen Fluss Ganges. „In unseren heiligen Schriften heißt es, dass man von allen Fesseln befreit wird, sobald man Kashi betritt”, so Modi. „Der Segen von Lord Vishweshwara, eine übernatürliche Energie, erweckt unsere innere Seele, sobald wir hierherkommen.“

Varanasi liegt im Bundesstaat Uttar Pradesh und wird im Hinduismus als heiligste Stadt angesehen. Sie wird auch Benares oder Kashi genannt. Von den etwa 1,2 Milliarden Indern sind 79,8 Prozent Hindus und 14,2 Prozent Muslime. Christen machen 2,3 Prozent, Sikhs 1,7 Prozent, Buddhisten 0,7 Prozent der Bevölkerung aus.

Hindu-Tempel auf Platz der zerstörten Babri-Moschee
Für 40 Millionen Euro entstand die neue Tempelanlage mit ihren hohen Mauern, weiten Höfen und einem Korridor vom Ganges hinauf zum Tempel. Bis zu 70.000 Gläubige können hier pro Tag ihr rituelles Bad im heiligen Fluss nehmen und dann im Kashi-Tempel beten.

Dass Modi zur Einweihung des neuen Tempelkomplexes kam, ist kein Zufall, denn Varanasi ist sein Wahlbezirk. Hier finden voraussichtlich im Februar und März die Wahlen zum Landesparlament von Uttar Pradesh statt, dem mit 200 Millionen Einwohnern größten indischen Bundesstaat, den Modis hindu-nationalistische Partei BJP regiert.

2000 Tote bei tagelangen Ausschreitungen zwischen Hindus und Muslimen
Noch explosiver für das Verhältnis zwischen Hindus und Muslimen ist der Bau eines Tempels für den Gott Rama auf dem Platz der Babri-Moschee in der Stadt Ayodhya. Die kleine Stadt liegt in Zentralindien; bis heute ist sie Pilgerstadt für Hindus und Muslime.

Im Dezember 1992 wurde die Moschee von hunderttausenden Anhängern der BJP zerstört. Es kam zu tagelangen Gewalttaten zwischen Hindus und Muslimen, bei denen 2000 Menschen zu Tode kamen. Seit der Staatsgründung 1947 waren es die wohl schwersten religiösen Auseinandersetzungen. Schon seit Jahren gehören Übergriffe von Hindus auf Muslime und ihre Einrichtungen zur Tagesordnung in Indien. Und auch die Muslime reagieren mit Gewalt.

Hindus triumphierten über Moslems
Die Hindus behaupten, dass die Babri-Moschee (die 1527 gebaut wurde) auf dem Grund eines früheren Hindu-Tempels gestanden habe. Bewiesen ist das nicht. Sicher ist nur, dass altes Mauerwerk unter der Moschee gefunden wurde, aber nicht, dass es sich dabei um die Überreste eines Hindu-Tempels handelt, zumal nach Auffassung von Archäologen die vorgefundenen Mauerreste für einen Tempel zu dünn seien.

Möglich wurde der Bau des Hindu-Tempels nach einem Urteil des Obersten Gerichts. Im November 2019 entschieden die Richter für die Hindus, die wie die Muslime das Grundstück für sich beanspruchten. Nach einem erbitterten Rechtsstreit war das Urteil ein Sieg der hinduistischen BJP über die Muslime. Die Partei war mit dem Wahlversprechen angetreten, einen Tempel für den Hindu-Gott Rama in seinem Geburtsort Ayodhya zu bauen.

Kein Beitrag des Premiers zur Versöhnung – ganz im Gegenteil
Premierminister Modi versuchte als gewählter Regierungschef erst gar nicht für Versöhnung zwischen Muslimen und Hindus zu werben, sondern bejubelte die Grundsteinlegung Anfang August 2020 für den neuen Tempel. Er brachte als Einweihungsgeschenk 40 Kilogramm Silber mit. Dabei blieben ihm und seinen Helfern gerade mal 32 Sekunden Zeit, um das Silber in die Baugrube für die Grundsteinlegung zu bringen. Denn in dieser halben Minute standen die Sterne günstig, um den Neubau offiziell zu beginnen und so unter ein gutes himmlisches Vorzeichen zu stellen. Die Errichtung des Hindu-Tempels an der Stelle einer 1992 von Hindu-Extremisten zerstörten Moschee ist ein politischer Triumph für Modi und die BJP, womit Indien wieder etwas mehr das Gesicht eines Hindu-Staates bekommt.

Seit Mai 2014 ist der Hindu-Politiker Narendra Modi Premierminister von Indien. Foto: Wikimedia Commons.

Premierminister Modi: Gott Rama lebt!
Der Tag der Grundsteinlegung am vermeintlichen Geburtsort des Gottes Rama habe „eine ähnliche Bedeutung für das Land wie der Unabhängigkeitstag“, sagte Modi. So wie „jeder Teil der Gesellschaft den Freiheitskampf unterstützt“ habe, gründe der Bau des Tempels auf der „Zusammenarbeit von Menschen aus dem ganzen Land.“ Doch für die Unabhängigkeit Indiens hatten Hindus und Muslime noch gemeinsam gekämpft. An diesem Miteinander ist Modi offensichtlich nicht  interessiert. Der „Indian Express” urteilte eindeutig: „In Ayodhya sehen wir die Demontage der alten Republik und die Grundsteinlegung für die neue Republik.“

In seiner Rede zur Grundsteinlegung beschwor Premierminister Narendra Modi sein Feindbild: „Es wurde versucht, den Namen Rama zu löschen, die Strukturen wurden zerstört. Aber er lebt.“ Und weiter: „Die Invasoren (gemeint sind die Muslime im 16. Jahrhundert) haben diese Stadt angegriffen und versucht sie zu zerstören. Die Geschichte der Grausamkeiten des Herrschers Aurangzeb und seines Terrors ist Zeugnis davon. Er versuchte die Zivilisation mit dem Schwert zu verändern, die Kultur mit Fanatismus zu zerstören, aber der Boden dieses Landes ist anders als der Rest der Welt.“

Ende einer langen Unterdrückung
Wenn Narendra Modi über die früheren muslimischen Herrscher in Indiens Geschichte spricht, befürchten nicht nur muslimische Kritiker, er meine damit nicht nur die Vergangenheit, sondern spreche auch über die Gegenwart. Modis Argumentation und Rhetorik offenbart: Der Bau der Tempelanlage ist für ihn kein Affront gegen Muslime, sondern die überfällige Befreiung der lange unterdrückten Hindus und ihres Glaubens und damit ein Schritt zur Gerechtigkeit. Kritiker sehen darin allerdings den Versuch der BJP, die Geschichte des Landes umzuschreiben. Sie machten die Hindus zu einer tausend Jahre unterdrückten Gruppe, die nun endlich ihre Freiheit zurückgewinnt.

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