Mit Empörung ist es nicht getan

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Der "Treppensturm" war keine Niederlage der Demokratie in Deutschland.

Entsetzt und empört – so reagierten viele Politiker darauf, dass Covid-19-Demonstranten die Treppe des Reichstages in Berlin erstürmten. Die Kommentare lauteten: „beschämend“, „unerträglich“, „verabscheuungswürdig“. Ein Kommentar von Norbert Abt.

Was war passiert? Geschätzten 200 Demonstranten gelang es am Abend die Absperrungen zu überwinden und die Treppe vor dem Haupteingang des Reichstagsgebäudes einige Minuten zu besetzen, bevor sie von der Polizei wieder weggedrängt wurden. Auf der Treppe wurden etliche schwarz-weiß-rote Reichsflaggen geschwenkt, zu sehen war auch ein Plakat von sogenannten Covid-19-Rebellen. Das Ganze kam in Gang, nachdem eine Heilpraktikerin aus der Eifel via Megafon verkündet hatte, Präsident Donald Trump sei gelandet. Sie forderte die Demonstranten auf ein Zeichen zu setzen.

Kritik an den Corona-Maßnahmen
Der „Treppensturm“ war nur ein Nebenschauplatz der Demonstration, zu der die Initiative Querdenken an dem Tag aufgerufen hatte. Sie stand unter dem Motto „Das Ende der Pandemie – Tag der Freiheit“. Die nach Polizeiangaben etwa 40.000 Teilnehmenden waren sich in ihrer Ablehnung der Corona-Maßnahmen und der Maskenpflicht einig. Sie halten die staatliche Corona-Politik für Bevormundung und für ein Zeichen wachsender Unfreiheit im Land. Einige leugnen gar die Existenz oder Gefährlichkeit des Corona-Virus, andere zielen mit ihrer Kritik auf die Verhältnismäßigkeit der Maßnahmen.

Eine bunte Ansammlung
Immer wieder ertönten die Rufe „Freiheit!“ und „Frieden!“. Die Protestierenden waren eine denkbar bunte Ansammlung aus ganz Deutschland: Hippies, Esoteriker, Rechte, Neonazis, Reichsbürger, Friedensaktivisten, Kapitalismuskritiker, Anhänger von Verschwörungstheorien, Impfgegner, Religiöse, Anthroposophen und Humanisten …

Auf den „Treppensturm“ reagierten Politiker in Berlin alarmiert und empört. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier sprach am Montag angesichts der Reichsflaggen und rechtsextremen Parolen der Demonstranten sogar von einem „Angriff auf das Herz unserer Demokratie“.

Man muss das Geschehen nicht als Sturm im Wasserglas verniedlichen. Aber es sollte auch nicht größer gemacht werden, als das, was es ist. Ganz sicher war es kein erfolgreicher Sturm auf die Demokratie Deutschlands.

Keine Niederlage der Demokratie
Ja, der Vorfall ist kein gutes Signal. Ja, die Demonstranten, unter ihnen auch etliche Rechtsradikale, haben auf der Treppe des Reichstags nichts zu suchen. Ja, die Bilder vom „Treppensturm“ werden manchen Auftrieb geben, sie hätten den Ort des Volkswillens eingenommen. Doch es ist zu unterscheiden zwischen der Symbolik und dem realen Geschehen: Es war eine unschöne Randerscheinung einer großen Demonstration gegen Corona-Maßnahmen und keine bittere Niederlage der Demokratie dieses Landes.

Bundesminister Spahn angespuckt
Jenseits der Frage, wie schwerwiegend der Vorfall tatsächlich war, ist es diese unsägliche und reflexhafte Empörung, die in der deutschen Öffentlichkeit immer wieder die Diskussion und das Klima bestimmt. Und im zweiten Schritt geht es dann um die Frage: „Wie konnte so etwas nur passieren?“. Natürlich ist die Frage berechtigt, aber auch hier geht es eben nicht um eine inhaltliche Auseinandersetzung mit dem Anliegen der Demonstranten.

Besser wäre es, die inhaltliche Auseinandersetzung zu suchen, was – zugegeben – oft nicht leicht und manchmal sogar aussichtslos ist. Das musste Bundesgesundheitsminister Jens Spahn erleben, als er in den letzten Tagen in einigen Städten von Nordrhein-Westfalen von Corona-Kritikern ausgebuht, angespuckt und angeschrien wurde. Aber: Hut ab, dass er sich um das Gespräch bemüht hat.

Immer der gleiche Reflex
Empörte Reaktionen sind ein lang geübter Reflex in der öffentlichen Diskussion dieses Landes, vor allem dann, wenn auch rechtsradikal Gesinnte an einem Geschehen beteiligt waren. Doch das führt nicht weiter. Besser wäre es, sich mit den Anliegen und Fragen der Demonstranten zu befassen. Wenn die SPD-Vorsitzende Saskia Esken die Covid-19-Kritiker als „Covidioten“ bezeichnet, wie vor einiger Zeit geschehen, ist das genau der falsche Weg, weil es arrogant ist und das Gespräch verhindert. Das gilt auch, nachdem die Berliner Staatsanwalt entschieden hat, gegen Esken nicht wegen Beleidigung zu ermitteln. Kritiker derart abzuqualifizieren vergiftet das Gesprächsklima.

Gespräch statt Empörung
Deutschland ist schon lange eine Empörungs-Republik. Viele zeigen sich entrüstet über dies und das, alles mögliche oder unmögliche. Der Fokus liegt darauf, zu beklagen und zu verurteilen. Wer sich empört, fragt meist nicht nach Gründen, sondern bläst die Backen auf und stellt den anderen in eine Ecke, in der er gefälligst auch bleiben soll, damit man selbstgerecht auf ihn zeigen kann.

Was der Demokratie schadet
Doch so ist eine vernünftige Diskussion oder gar eine Verständigung nicht zu erreichen. Dabei sollte man nicht naiv sein, denn etliche Corona-Kritiker erscheinen für Argumente nicht oder nur schwer zugänglich. Doch das ändert nichts daran: Eine Demokratie lebt vom Gespräch und vom Austausch, zumindest aber von dem Bemühen und dem Versuch, den Andersdenkenden zu verstehen und sich mit ihm auszutauschen und ihn nicht nur in die Schmuddel-Ecke zu verbannen – so bequem das auch ist. Wer sich die Mühe zum Gespräch auf Augenhöhe nicht macht, der bringt der Demokratie tatsächlich eine Niederlage bei.

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