Verschwörungstheorien zur Corona-Impfung: Christen steuern dagegen

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Verschwörungstheorien zur Corona-Impfung sind im Netz viral. Auch unter Christen finden sie, mit apokalyptischen Motiven aufgeladen, Verbreitung. Einige Pastoren und christliche Leiter steuern dagegen.

Neben den üblichen Verschwörungstheorien zur Corona-Impfung kursieren auch apokalyptische Versionen im Internet. Sie werden massenhaft verbreitet – über einschlägige Webseiten, Newsletter, soziale Netzwerke, Blogs, Spam-Bots. Dass sie bei manchen Christen Resonanz finden, zeigen deren direkte Kommentare zum Thema im Netz, unter anderem auf Youtube. Aber auch die Reaktionen von christlichen Leitern in Predigten und eigenen Webauftritten lassen ahnen, dass sich nicht wenige Christen weltweit von diesen Theorien ansprechen lassen.

Der Theologe Curtis Chang lehrt an der Duke Divinity School in den USA und war Pastor in Kalifornien. Eva Heuser, Norbert Abt, Zwei Köpfe - Berichte und Meinungen zu Religion, Zeitgeschehen und Recht
Der Theologe Curtis Chang lehrt an der Duke Divinity School in den USA und war Pastor in Kalifornien.

USA: Weiße Evangelikale sind größte Impfskeptiker

Wie impfbereit Menschen verschiedener religiöser Überzeugungen sind, ist in den USA untersucht worden. Dort ist die die Corona-Impfskepsis unter weißen evangelikalen Christen am größten, das berichtet aktuell die New York Times. Wie tief nicht nur Trump, sondern auch die Impfstofffrage die US-amerikanische Christenheit gespalten hat, lässt sich auch daran ablesen, dass evangelikale Christen ihrerseits eine Informations-Initiative für nötig halten. „Christen und der Impfstoff“ heißt übersetzt der Internetauftritt von Curtis Chang, Gründer von „Redeeming Babel“. Es ist eine Organisation, die nach eigener Auskunft „biblisches Denken innerhalb einer verwirrenden Welt“ bereitstellen will – und eben auch eine „biblische Sicht“ auf den Corona-Impfstoff.

Ähnlich äußert sich David French, Herausgeber des konservativen US-Online-Magazins „The Dispatch“: Er macht im Kern der Impfstoffverweigerung einen Informationsmangel und ein „geistliches Problem“ aus und wirbt aus christlicher Nächstenliebe für die Impfung. Mit mehr Information aber ist es laut French nicht getan: Grundlegender geht um die Frage, welcher Informationsquelle und welchen Personen die Menschen vertrauten. Hier sieht er Christen in der Pflicht, mit den Menschen in ihrem engeren Umfeld Gespräche zu führen und deren Ängste anzusprechen.

Evangelikale Aufklärer steuern gegen

Auf die Frage „Ist der Covid-Impfstoff das ,Zeichen des Tieres’?“ antwortet Curtis Chang: „Definitiv nicht.“ Gemeint ist das „Tier“ mit seiner Zahl „666“ als Gegenspieler Gottes und der Gemeinde Christi, wie es im letzten Buch der Bibel, der Offenbarung des Johannes, beschrieben wird. Manche Christen lesen die Offenbarung als genaue Vorhersage noch bevorstehender Ereignisse der „Endzeit“ – eines nahenden Endes der Welt. Chang hingegen interpretiert die Offenbarung, bis auf ihre letzten Kapitel, anders: „Es wird nicht zuallererst die Zukunft offenbart, sondern die geistliche Bedeutung der historischen Ereignisse, die in der Welt der ursprünglichen Leserschaft im ersten Jahrhundert geschehen sind.“ Chang liest die Offenbarung als grundlegenden „Kompass“: Es gehe darum, sich keiner politischen Macht, keinem Herrscher zu unterwerfen, Gott treu zu bleiben und auch gesellschaftlichem Druck standzuhalten – ohne im Einzelnen identifizieren zu müssen, wer nun das „Tier“ und was sein „Zeichen“ sein könnte.

Bei Chang beinhaltet das auch einen kräftigen Seitenhieb auf das „politische Christentum“ der USA und dessen teils unkritische Trump-Erhöhung. Das 13. Kapitel der Offenbarung „sagt Christen ganz generell und durch alle Zeiten hindurch, dass sich durch ihre politische Welt bewegen sollen, indem sie jede vollständige und absolute Identifikation mit jedwedem politischen Leiter oder einer Partei vermeiden – ganz gleich, ob auf der rechten oder linken Seite. Beuge dich nicht vor irgendeinem Anführer.“ Die andere Lesart, die die Offenbarung ausschließlich als Vorhersage der Zukunft deutet, vergleicht Chang mit dem „Blick in eine Kristallkugel“.

Das Tier mit zehn Hörnern und sieben Köpfen, der Antichrist, und das Tier mit zwei Hörnern, der falsche Prophet (Offenbarung des Johannes 13, 1-8). Zeichnung von Jakob Lederlein in Simon Studions „Naometria“ von 1604. Eva Heuser, Norbert Abt, Zwei Köpfe - Berichte und Meinungen aus Religion, Zeitgeschehen und Recht
Das Tier mit zehn Hörnern und sieben Köpfen und der falsche Prophet aus der Offenbarung, Kap. 13. Zeichnung von Jakob Lederlein (1604).

Apokalyptische Deutung wandelt sich mit der Zeit

Tatsächlich hat sich stetig gewandelt, was Christen in ihrer Zeit als das „Zeichen des Tieres“ und als das Tier selbst mit seiner Zahl „666“ identifizierten. Angefangen von den römischen Kaisern Nero und Domitian, die die Christen im ersten Jahrhundert schwer verfolgten, „bis zu Gestalten der neueren Zeit, ja der Gegenwart“, so Fritz Grünzweig Mitte der 1990er-Jahre im „Edition C“-Bibelkommentar zur Offenbarung. Auch Adolf Pohl stellte schon 1971 im Bibelkommentar der „Wuppertaler Studienbibel“ fest, dass „bereits im 2. Jahrhundert … die Ausleger hilflos vor dieser Angabe“ der Zahl „666“ standen. „Diese Hilflosigkeit hielt an und förderte eine solche Unmenge von Deutungen an den Tag, daß sich heute darin Weisheit bekunden könnte, schlicht das eigene Nichtwissen zu bekennen und jede weitere Mühe demütig einzustellen.“ Auch die Einführung der Strichcodes ab der Mitte der Siebziger-Jahre wurde von Christen schon mit der „Zahl des Tieres“ in Verbindung gebracht, das Internet sowieso.

Inhaltlich abzugrenzen ist davon aber der sogenannte „Antichrist“. Der fälschlicherweise synonym zum „Tier“ verwendete Begriff taucht in der Offenbarung nämlich nirgends auf, stellt der evangelische Theologe Manfred Schmidt vom freien theologischen Lehrdienst „Axis“ klar. Von „Antichristen“, übrigens in der Ein- und Mehrzahl, ist vielmehr in den Briefen des Apostels Johannes die Rede. Gemeint sind menschliche „falsche Christusse“ und „falsche Propheten“, von denen auch die Evangelien sprechen: mehrere im Lauf der Geschichte.

„Weltregierung“ erregt Argwohn

Auch alles, was nach „Weltregierung“ riecht, kann im Blick auf das 13. Kapitel der Offenbarung Argwohn erregen. Die Vereinten Nationen und die EU, umso mehr aber die direkte Forderung von „Spiegel“-Autor Bernhard Zand im März 2020: „Falls es der Klimawandel und die Migrationstragödien der letzten Jahre noch nicht bewiesen haben – Covid-19 beweist es uns jetzt von Tag zu Tag: Krisen wie diese bräuchten eine Art Weltregierung.“ In diesem Zusammenhang ist auch die Sorge des katholischen Kurienkardinals Gerhard Ludwig Müller von Mai 2020 zu sehen, Corona könnte ein Vorwand sein, eine „Weltregierung“ zu errichten.

Dunkle Vermutungen und Verschwörungsängste einmal beiseite gelassen: In den 2000 Jahren wechselvoller Kirchengeschichte gingen massive Christenverfolgungen immer vom Staat aus. Vor diesem Hintergrund fragen sich auch im Westen Christen dann und wann, ob sich ein politisches System oder eine Regierung wieder einmal gegen sie wenden könnte.

„Christen im Widerstand“ gehen in scharfe Opposition zum Staat

Interessanterweise sehen sich die gegenüber den Corona-Einschränkungen extrem kritischen „Christen im Widerstand“ um den Berliner Pastor Christian Stockmann an exakt diesem Punkt heute. Sie ziehen gemeinsam mit den „Querdenkern“ völlig überzogene Parallelen zu Dietrich Bonhoeffers Widerstand im „Dritten Reich“ und der friedlichen Revolution, die am Ende das sozialistische System der DDR zu Fall brachte.

Viele andere Christen wollen Spaltung der Gesellschaft überwinden

Andere, die die Offenbarung auch als Vorhersage kommender Ereignisse lesen, widersprechen dem direkt: „Ich glaube, dass wir noch lange nicht an dem Punkt sind, wo wir uns vor der ,Zahl des Tieres’ bewahren müssen oder vereinnahmt werden vom Antichristen – oder welche Ängste auch immer da mitschwingen“, so Andreas Waldmann, Pastor der Christengemeinde Arche Alstertal. „Ich glaube eher, dass wir als Christen noch da sind, um uns zum Wohl und für den Zusammenhalt der Gesellschaft zu engagieren.“

Für Leo Bigger, Hauptpastor der überkonfessionellen International Christian Fellowship (ICF) Church in Zürich, hat Corona einen Keil auch mitten durch die Gemeinde, Familien, die Christenheit getrieben. Befürworter von Masken und Impfung stehen deren Gegnern teils unversöhnlich gegenüber: „Gegen diese Kultur kämpfe ich. Vielleicht ist das Einzige, das uns auch politisch verbindet, Jesus.“

Der katholische Theologe Johannes Hartl (Gebetshaus Augsburg) sagt: „Menschen sind für mehr geschaffen als nur fürs körperliche Überleben. Das Kostbarste, was wir überhaupt haben, ist unsere Beziehung zu Gott und sind unsere Beziehungen zu Menschen. Lasst uns nicht Corona – oder eine andere Welle – dazu nehmen, das Band der Liebe zu zerreißen.“ Auch bei gegensätzlichen Meinungen zu Corona: „Lasst uns zu Menschen werden, die Frieden stiften.“

Artikel aktualisiert am 17.1.2022.