Kommt mit Corona auch mehr Umweltschutz?

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Vor allem im April und Mai hat Corona dem Klima eine beispiellose Pause verschafft. Ob die Menschen sich in ihrem Konsum auch mäßigen, wenn der Zwang durch die Corona-Beschränkungen wegfällt?

Ein Virus löst eine Pandemie aus – weil Menschen in Lebensräume von Tieren eindringen und sich die Welt zum Dorf machen. Welche Ironie: Dasselbe Virus kann zugleich ein entscheidender Katalysator für Umwelt- und Tierschutz sein. Corona wirft ein Schlaglicht auf unseren Konsum und unsere Unfähigkeit zur kollektiven Mäßigung – und zeigt, wie es auch anders gehen könnte. Eine Analyse von Eva Heuser.

Kommentarbild Zwei Köpfe - Nachrichten aus Zeitgeschehen, Religion und Recht, Eva HeuserEin Virus zwingt Menschen und Konzerne auf der ganzen Welt unfreiwillig zum Umweltschutz. Fluggesellschaften rund um den Globus haben den Luftverkehr auf dem Höhepunkt der Corona-Krise im April und Mai um 75 bis 90 Prozent reduziert – oder sogar komplett eingestellt. Flieger werden verschrottet, Flotten verkleinert und modernisiert, Flugrouten gestrichen. Industriebetriebe haben ihre Produktion zurückgefahren, in der Automobilindustrie laut Statistischem Bundesamt im April sogar um fast 75 Prozent.

Ölpreis fiel kurz unter 0 Euro

Viele Arbeitnehmer sind im Homeoffice und Autos in der Garage geblieben. Um 30 bis 50 Prozent ist der Straßenverkehr während der Corona-Beschränkungen zurückgegangen, schätzt Dirk Messner, Präsident des Umweltbundesamtes. „Dass weniger Verkehr zu besserer Luft und auch weniger Lärm führt und sich damit die Lebensqualität in unseren Städten erhöht, hat uns die Corona-Krise vor Augen geführt“, sagt Messner und hofft auf positive Impulse für eine langfristige Verkehrswende. Der Ölpreis brach mangels Nachfrage ein, im April für die US-Sorte WTI sogar kurzzeitig unter 0 Euro. Das gab es noch nie.

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Schnellstmöglich zurück zum Status quo ante?

In Wirtschaftsberichten wird indes prognostiziert, wann man wohl den Stand vor Corona wieder erreichen wird: Wann werden wieder genauso viele Flieger in der Luft sein wie Anfang 2020, wann werden wieder so viele Autos verkauft? Dabei bleibt eine andere, mindestens genau so wichtige Frage außer acht: Ob die deutsche, die europäische Gesellschaft das tatsächlich wollen kann – schnellstmöglich zurück zum Status quo ante?

Ganz im Gegensatz zu diesen Prognosen deutet sich an vielen Stellen an, dass die Krise eine wohl einzigartige Chance für den Klimaschutz bietet. Bereits jetzt zeigt sich die Corona-Krise hier und dort als Katalysator für ein neues Bewusstsein, das es so ohne die Krise nicht gegeben hätte. Es soll anders gehen können – und dass das vielerorts möglich ist, hat sich in der Krise auch oft schon gezeigt.

Erst jetzt sind Fleischverarbeiter im Fokus

Vom Verkehr zum Massenfleisch, der anderen großen Klimasünde: Tönnies und Westfleisch und die massiven Corona-Infektionszahlen in den Großbetrieben der Fleischverarbeitung. Erst Corona hat die Bedingungen dort für Arbeiter und Tiere zum öffentlichen Skandal gemacht. Erst als eine reale Bedrohung von dort ausging, standen die Bedingungen dort im Blickfeld des Interesses – und der öffentliche Druck auf die Unternehmen und die Politik stieg massiv.

Im Ergebnis sind mit einem Mal ausbeuterische Werksverträge verboten worden. Ob die Landwirtschaftsministerin aber dem Gegendruck der Branche standhält und beim Tierwohl mehr als nur Symbolpolitik betreiben wird, ob die Moral nicht mehr am Geldbeutel scheitert und deutsche Verbraucher auch an den Supermarktkassen am Ende mehr für ihr Fleisch zahlen werden, wird sich noch zeigen müssen. Zwar ist eine überragende Mehrheit (92 Prozent) nach einer aktuellen Umfrage der Forschungsgruppe Wahlen für schärfere Gesetze und in der Folge teureres Fleisch. Doch nur 55 Prozent glauben, dass eine Mehrheit dann auch bereit ist, dafür tiefer in die Tasche zu greifen.

Deutsche geizen bei Lebensmitteln

Bekanntlich geizen die Deutschen beim Lebensmittelkauf. Mit unseren Ausgaben für Lebensmittel liegen wir unter dem EU-Durchschnitt. Gleichzeitig aber liegt der Pro-Kopf-Konsum insgesamt knapp 19 Prozent über dem EU-Durchschnitt – und dieser Wert berücksichtigt bereits die unterschiedlichen Preisniveaus in den Mitgliedstaaten.

Wir geben unser Geld also lieber für Wohnen, Auto, Kleidung, Hobbies und Reisen aus als für unsere Ernährung. Die Ironie: Erst die Ausbeutung der vielen Bulgaren und Rumänen bei Tönnies und Co. hat es uns ermöglicht, so billig an unser Fleisch zu kommen.

Deutschland und Frankreich: Gemeinsam nach vorne?

Der Staat steigt bei der Lufthansa ein und fordert unter anderem die Modernisierung der Flotte. Flugzeug in der Luft
Der Staat steigt bei der Lufthansa ein und fordert unter anderem die Modernisierung der Flotte.

Blicken wir nach Europa: Wegen Corona steigt der Staat als Nothelfer bei der Lufthansa ein und fordert im Gegenzug unter anderem die Modernisierung der Flotte, um Lärm- und CO2-Emissionen zu senken. Vorbild war Frankreich: Auch dort hat der Staat Anfang Mai seine Finanzhilfen mit Umweltschutz-Vorgaben gekoppelt. Und zum ersten Mal unterstützt Bundeskanzlerin Angela Merkel den französischen Staatspräsidenten Emmanuel Macron bei der Einführung einer europäischen CO2-Grenzsteuer, die klimaschädlich produzierte Produkte aus dem Ausland teurer machen würde.

Homeoffice und weniger Flieger am Himmel

Die Sorge, dass Homeoffice die Arbeitsleistung senkt, ist ungezählten deutschen Unternehmen in der Corona-Krise genommen worden und die meisten haben den Vorteil digitaler Konferenzen entdeckt: Knapp 60 Prozent der Unternehmen im Land wollen auch langfristig weniger Angestellte auf Geschäftsreisen schicken. Das hat das ifo-Institut in einer Konjunkturumfrage ermittelt.

Fernzüge zwischen großen Städten künftig im Halbstundentakt? Ambitionierte Ziele des "Deutschland-Takts", mit dem künftig sehr viel mehr Menschen und Güter auf die Schiene gebracht werden sollen.
Fernzüge zwischen großen Städten künftig im Halbstundentakt? Ambitionierte Ziele des “Deutschland-Takts”, mit dem künftig sehr viel mehr Menschen und Güter auf die Schiene gebracht werden sollen.

Eine andere Entwicklung weist in dieselbe Richtung – obwohl sie eigentlich mit der Corona-Krise gar nichts zu tun hat. Dass der Start des am 30. Juni von Bahn und Verkehrsminister vorgestellten „Deutschland-Takts“ auch noch in die Corona-Zeit fällt, ist ein Zufall, der perfekt passt. Das Projekt wird seit Jahren vorbereitet und soll Bahnfahren schneller und zuverlässiger machen. So könnte die Schiene innerdeutsche Flüge in den kommenden Jahren möglicherweise ganz ersetzen, zumindest auf Strecken, die die Bahn in unter drei Stunden schafft.

Und wieder ohne direkten Zusammenhang, aber passend: Der Billigflieger Easyjet hat laut Branchenmagazin „Airliners“ am 1. Juli angekündigt, Flotte und Arbeitsplätze in Berlin nahezu zu halbieren und keine innerdeutschen Routen mehr fliegen zu wollen.

Ohne Mäßigung wird es nicht gehen

Weniger ist mehr – für den Umwelt- und Tierschutz? Das weckt Erinnerungen an 2013 und den grünen Vorschlag, mit dem „Veggie-Tag“ einen fleischlosen Tag in Kantinen einzuführen. Für die Grünen, damals laut als „Verbots-Partei“ gescholten, wurde es ein politisches Desaster. Doch mag man mit der FDP ausschließlich auf technische Neuerungen setzen, die das leidige Wort „Verzicht“ verzichtbar machen sollen? Und ernsthaft glauben, dass es ohne Mäßigung gehen kann?

Dass es nicht jeden Tag Fleisch oder der Kurztrip nach New York sein muss, das wird am Ende zuerst dem Geldbeutel einleuchten, wenn Fliegen und Fleisch auch das kosten, was sie tatsächlich an Kosten verursachen und Fleisch nicht mehr nur „produziert“ wird. Doch dafür muss die Politik endlich den Rahmen stecken. Ist es nicht ironisch, dass uns erst ein lebensgefährliches Virus – und die weltpolitische Reaktion darauf – zu manch einer Verhaltensänderung zwingt, zu der wir uns aus freien Stücken niemals durchgerungen hätten?