Weihnachten 2020 – Gottesdienstbesuch als Gewissensfrage

Wer hätte sich das vorstellen können, dass einmal zwischen Gottesdienst und einer möglichen gesundheitlichen Gefährdung abzuwägen sein wird? Und die mögliche Gefahr ist mit der jüngsten Corona-Mutation möglicherweise noch größer geworden.

Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer, nicht verdächtig ein Gegner der Kirchen zu sein, forderte dazu auf, in diesem Jahr auf den Besuch des Weihnachtsgottesdienstes zu verzichten. Es ist die Bitte eines Politikers, der darum bemüht ist, die Ausbreitung des Corona-Virus einzudämmen, in einem Bundesland, das mit seinen Infektionszahlen trauriger Spitzenreiter ist, mit Inzidenzwerten von über 2000 (!) in einigen Orten.

Ministerpräsident contra Stellvertreter
Auch Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Armin Laschet zeigte sich zunächst skeptisch gegenüber einem Gottesdienstbesuch an Weihnachten. Trotzdem schreckte er davor zurück, von einem Besuch des Weihnachtsgottesdienstes abzuraten, während sein Stellvertreter Joachim Stamp von der FDP dazu ausdrücklich aufforderte. Nach jetzigem Stand wird es in dem größten Bundesland nur sehr wenige evangelische Präsenz-Gottesdienste an Weihnachten geben. Die klare Positionierung Stamps brachte Laschet dazu, sich nicht gegen Präsenz-Gottesdienste auszusprechen. Schon im März hatte Laschet großen Wert darauf gelegt, dass er den Lockdown für die Religionsgemeinschaften nicht einfach dekretiert, sondern das Einvernehmen mit den Vertretern der Glaubensgemeinschaften gesucht hatte.

So wird es in Deutschland ein sehr uneinheitliches Bild geben: Gemeinden, die ganz auf Weihnachtsgottesdienste verzichten (es sind vermutlich die meisten), andere, die sich im Freien treffen, Angebote via Internet und Präsenz-Gottesdienste unter strengen Auflagen und einer sehr begrenzten Zahl von Plätzen.

Die Hälfte für ein Gottesdienstverbot
Angesichts hoher Infektionszahlen ist jeder zweite Deutsche für ein Verbot der Weihnachtsgottesdienste. In einer YouGov-Umfrage im Auftrag der Deutschen Presse-Agentur sprachen sich 50 Prozent dafür aus, Gottesdienste an Weihnachten zu untersagen, nur 35 Prozent wollen sie trotz Ansteckungsgefahr beibehalten. 15 Prozent machten keine Angaben.

Schon vor einiger Zeit äußerten kirchenkritische Gruppierungen kein Verständnis dafür, dass Kirchen trotz neuerlicher Beschränkungen Gottesdienste feiern dürfen, freilich unter strengen Regeln. Doch solche Kritik zeigt kein Verständnis für das grundlegende Recht auf Ausübung der Religion, die eine der wichtigsten Grundfreiheiten des Menschen in demokratischen Gesellschaften ist.

Kirchen nicht präsent
Ausdrücklich verboten sind Gottesdienste im Advent und an Weihnachten nicht, wenn sie den aktuellen Hygieneregeln Rechnung tragen. Das war im Frühjahr anders. Da schienen die großen Kirchen beim ersten großen Lockdown allzu willig und unkritisch gegenüber dem umfassenden Schließungsgebot des Staates. Zu diesem Stillhalten gesellte sich eine Sprachlosigkeit, die dazu führte, dass die Kirchen insgesamt nicht als Akteure in der Pandemie wahrgenommen wurden und werden.

Es gibt Wichtigeres als Gesundheit
Einer der ganz wenigen Kritiker des Gottesdienstverbots war der (katholische) Frankfurter Stadtdekan Johannes zu Eltz, der darauf hinwies, dass es noch Wichtigeres gebe als Gesundheit. Womit er den Beistand der Kirchen für Menschen in Not und die ungehinderte Religionsausübung meinte. Er übte Kritik am pauschalen Verbot der Gottesdienste, weil das den Kern der Religionsausübung betreffe. „Ich kann nicht erkennen, dass man auch nur einen Gedanken darauf verschwendet hätte, da die Gläubigen mitzunehmen, statt sie auszusperren“, sagte zu Eltz. In den zumeist „großen, leeren Kirchen“ hätte der Infektionsschutz sehr wohl eingehalten werden können. „Mir wird es ganz schwummrig, wenn ich sehe, wie schnell wir bereit waren, uns generellen Verboten zu unterwerfen“, erklärte zu Eltz.

Auch Muslime betroffen
Doch sein klares Votum wurde von keinem namhaften Kirchenvertreter, auch nicht aus der katholischen Kirche, unterstützt. Es schien vielmehr so, dass sich die Repräsentanten der beiden großen Kirchen in Deutschland lieber wegduckten, und das vor dem Hintergrund, dass damit auch keine Gottesdienste an Ostern, dem höchsten Fest der Christenheit, möglich waren. Doch auch die Menschen muslimischen Glaubens waren betroffen, weil die Beschränkungen in die Zeit des Fastenmonats Ramadan fielen.

Geringes Bewusstsein für das Menschenrecht auf Religionsausübung
In Deutschland ist die Sensibilität für Religionsfreiheit weithin ausgesprochen unterentwickelt. Das liegt auch daran, dass hierzulande vor allem linke und linksliberale Gruppen und Organisationen für Menschenrechte einstehen und dabei die Religionsfreiheit meist stiefmütterlich behandeln oder gar ganz hintanstellen.

Ganz anders in den USA, wo man einen viel stärkeren Sinn für die Freiheit der Religionsausübung hat. Hier gehört beispielsweise der regelmäßige Bericht des Außenministeriums über die Religionsfreiheit zu den zentralen Positionsbestimmungen für die Beziehungen zu anderen Staaten. Was die US-Administration, auch unter Donald Trump, allerdings nicht daran hindert, zu Saudi-Arabien (einem Staat für den Religionsfreiheit undenkbar ist) besonders enge Beziehungen zu pflegen.

Dieses Weihnachten sehen sich Christen in einer ungewohnten Lage und Entscheidungssituation. Könnte doch ein Fernbleiben vom Gottesdienst als besonderer Ausdruck von Rücksicht verstanden werden. Also Gottes-Dienst contra Nächstenliebe?

Weihnachten in schwierigen Zeiten
Altbischöfin Margot Käßmann wies darauf hin, dass das Weihnachtsfest dieses Jahr ganz anders anmutet. In einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung sagte sie, dass es hilfreich sein kann daran zu denken, dass „schon unter ganz anderen Umständen Weihnachten gefeiert“ wurde, beispielsweise in Hungersnöten und während Kriegen.

Margot Käßmann: Corona ist keine Strafe Gottes
Wichtig sei auch, dass die Kirchen deutlich machten, dass Corona keine Strafe Gottes sei. Von vielen Menschen werde sie immer wieder gefragt, ob die Krankheit ein Urteil Gottes ist.

Demgegenüber macht Käßmann deutlich: „Gott bestraft uns nicht dafür, wie wir leben. Er schickt keine Krankheiten und keine Unfälle. Gott schickt keine Pandemie. Jesus hat für uns Menschen doch klargemacht, dass Leid nicht Folge von Schuld ist. Und er wusste, wovon er sprach, weil er selbst Leid erfahren hat.“ Die Theologin und evangelische Pfarrerin gehört zu den bekanntesten Glaubensvertretern Deutschlands. Sie war mehr als zehn Jahre lang Bischöfin der (evangelischen) Landeskirche Hannover und von 2009 bis 2010 Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD).

Elend und Bedürftigkeit des Menschen
Von der Frage des Gottesdienstbesuches einmal abgesehen ist die Weihnachtsbotschaft in diesem Jahr sicher so aktuell wie lange nicht. Denn Weihnachten ist im Kern nicht das Fest von Wohlsein und gehobener Stimmung, zu dem es hierzulande mutierte. Weihnachten ist der Einbruch des Göttlichen in das Elend und die Bedürftigkeit des Menschen, in der Person von Jesus.

„Schöne Bescherung“
Spiegel-Online beschreibt Weihnachten im Jahr der Pandemie ironisch als „schöne Bescherung“. Doch damit ist dieses Weihnachten sicher viel näher am ersten Weihnachten der Geschichte. Das erste Weihnachten war nicht stimmungsvoll, sondern ein unglaubliches Geschehen in denkbar dreckiger und stinkender Kulisse eines Tierstalls. Vielleicht ist das diesjährige Weihnachten mit seinen Ängsten, Sorgen, Beschränkungen und Verboten damit viel näher an dem Weihnachten, das Jesus erlebte.

Gott wendet sich den Menschen zu
Den von Ängsten und Sorgen Geplagten gilt die Weihnachtsbotschaft „Fürchtet euch nicht“. An ihrer Aktualität hat diese Botschaft im Jahr der Pandemie nichts eingebüßt. Nach der Überlieferung drückten es die Engel mit folgenden Worten aus: „Denn er (Jesus) bringt der Welt Frieden und wendet sich den Menschen in Liebe zu.“

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