Von gestern oder für morgen? – Konservative suchen ihre Position

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Was bedeutet es heute, konservativ zu sein? Es diskutierten bei der Konrad-Adenauer-Stiftung in Mainz (von links) die CDU-Politiker und Mainzer Landtagsabgeordnete Ellen Demuth und Christian Baldauf, die Grünen-Politikerin und Abgeordnete des Europaparlaments Jutta Paulus, der Philosoph und KAS-Landesbeauftragte für Sachsen Dr. Joachim Klose, die Soziologin und Altlinke Jutta Ditfurth, Ministerpräsident a.D. Prof. Dr. Bernhard Vogel (CDU) und Prof. Dr. Andreas Rödder, Professor für Neueste Geschichte an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. Foto: KAS/Philipp Lerch

In den Adventtagen geht es um die Erwartung des Künftigen. Im Blick auf das Kommende gilt es sich vorzubereiten. In diesem Sinne lud die Rheinland-Pfälzer Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS) zu einer Veranstaltung ein, die die Zukunft des Konservatismus zum Thema hatte; im Blick waren Positionsbestimmung und Ausrichtung. Der Landesbeauftragte der KAS, Philipp Lerch, stellte fest, dass der Konservatismus für eine „wertvolle Zukunft“ entscheidend sei und hob hervor: „Wir bleiben auch in Zukunft auf das Konservative angewiesen.“ Ein Bericht von Norbert Abt.

Natürlich wurde in den Vorträgen und Diskussionen der Konservatismus nicht grundsätzlich in Frage gestellt. Das ließe sich kaum bei einer Veranstaltung der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung erwarten. Vielmehr stellten sich Konservative Fragen und Gegenargumenten. Die Veranstaltung im Erbacher Hof in Mainz wollte Antworten auf die selbst gestellte Frage finden, die über dem Tag stand: „Von gestern oder für morgen – wie konservativ wollen wir sein?“

Die Einladenden hatten im Blick auf die Eingeladenen eine bemerkenswerte Weite gezeigt: Sie luden die Frankfurter Ökosozialistin Jutta Ditfurth zur Diskussion ein. Ditfurth machte sich ihre Gedanken, welche Absicht hinter der Einladung an sie stehe und vermutete, den Wunsch der Veranstalter, Brücken zu den künftigen Regierungspartnern, den Grünen, zu bauen und ihre Vorstellungen als viel zu weit links zu kennzeichnen, um auch in dieser Frage eine Gemeinsamkeit mit den Grünen zu finden, denen Jutta Ditfurth schon vor vielen Jahren den Rücken gekehrt hat.

Wenn das nicht Mut macht für eine neue Debattenkultur: Jutta Ditfurth im Gespräch mit Bernhard Vogel. Foto: KAS/Philipp Lerch

Jutta Ditfurth: Es geht zuallererst um soziale Gleichheit

Mit Jutta Ditfurth war eine bundesweit bekannte linke Aktivistin, Politikerin und Publizistin auf dem Podium vertreten. 1979 gehörte sie zu den Gründungsmitgliedern „Die Grünen Hessen“. Von 1984-1988 war sie Bundesvorsitzende der Grünen, die sie 1991 verließ, weil sich die Partei politisch zu sehr nach rechts entwickele. 1991 war sie Mitgründerin der Ökologischen Linken, der sie bis heute angehört. Für die Partei ist sie schon viele Jahre Mandatsträgerin in der Frankfurter Stadtverordnetenversammlung.

Ditfurth machte deutlich, dass es Kern und Ziel ihrer politischen Arbeit sei, die soziale Gleichheit für alle Menschen anzustreben. „Ich möchte, dass alle Menschen auf der Welt gleiche Rechte haben, sich als Individuum zu entfalten und so verschieden zu sein, wie sie das gerne möchten.“ Das aber sei im Kapitalismus nicht möglich. Er führe vielmehr zur Ausbeutung des Menschen und der Natur.

 

“Es ist eine Lüge, dass sich die Gesellschaft zum Besseren entwickelt”

Ditfurth vertritt die Ansicht, dass der Kapitalismus nicht sozial umgebaut werden kann. Es sei die große Lüge politischer Vertreter, dass sich alles immer weiter zum Guten entwickeln werde und so auch soziale Gleichheit erreicht werden könne. Ein Beispiel dafür sei die Misere im Bildungswesen: „Der Weg geht etwa in der Bildung dahin, arme Leute gehen in Schulen für arme Kinder und die reichen Leute schicken ihre Kinder in die Privatschulen und so wird auch gefördert.“

Der Mainzer Historiker Prof. Andreas Rödder teilte die Sorgen um die Bildungspolitik, aber nicht ohne darauf hinzuweisen, dass die Bildungsreform der 60er- und 70er-Jahre vieles zum Positiven verändert habe. Davon habe vor allem der Mittelstand in ländlichen Gebieten profitiert. Während Ditfurth die Gesamtsituation in der Schulbildung als verheerend darstelle, wollte er zunächst einmal festgehalten wissen, dass diese Bildungsreform eine „Erfolgsgeschichte“ gewesen sei.

“Bildungsreform war keine Folge der 68er”

Rödder widersprach der gängigen Einschätzung, dass die Bildungsreform in Deutschland eine Folge der 68er-Bewegung gewesen sei. Vielmehr sei sie Ergebnis einer „breiten bildungspolitischen Reformbewegung gewesen, die auf die Diagnose von Georg Picht zurückgehe, der 1964 den Begriff der „Bildungskatastrophe“ prägte und eine breite gesellschaftliche Diskussion zur Reform des Bildungswesens auslöste.

Vor diesem Hintergrund ist für Rödder die Bildungsreform eine Errungenschaft. Er unterstrich, „die Bildungschancen sind formal besser als sie es je waren“. Trotzdem sehe er „Funktionsschwächen“, weil prekäre und migrantische Schichten nicht davon profitierten. Es brauche daher „eine neue Bildungsoffensive für diese Schichten“.

Die Skepsis der Konservativen

Rödder wurde grundsätzlich, als er deutlich machte, dass es zum konservativ-christlichen Kern gehöre, dass alle Menschen gleichwertig seien und der Staat für die Menschen da sei und nicht der Mensch für den Staat. Liberal-konservative Politiker würden Ungleichheit nicht nur als Problem, sondern auch „als Folge freier Entscheidungen“ sehen und akzeptieren. „Konservative haben einen Sinn für die Unvollkommenheit des Menschen und eine Skepsis gegenüber der Selbstgewissheit von denen, die meinen, sie wüssten ganz genau, wie es ist.“ Konservative behielten eine Skepsis gegenüber allem ideologischem Denken, auch dem eigenen.

Konservatives Menschenbild

Konservative orientierten sich am Menschen und was ihm diene, sie suchten behutsame Verbesserung statt radikaler Umgestaltung. Pointiert formuliert könnte man ihre Haltung so beschreiben: „Die Konservativen verteidigen heute, was sie gestern abgelehnt haben und verteidigen morgen, was sie heute bekämpfen.“

Er könne sich sehr gut vorstellen, dass die Konservativen in 30 Jahren die „Ehe für alle“ als zentrales Element der Bürgerlichkeit verteidigten, so Rödder. Wer daraus den Schluss ziehe, dass Konservative dann letztlich doch allem zustimmten, nur eben später, irre dennoch. „Konservative akzeptieren nur das, was sich bewährt hat. Und ein Konservativer wird nur das verteidigen, was sich durchgesetzt hat.“

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